Wie weit wollen wir gehen?

Für die Recherchen zu ihren beiden aktuellen Dokumentationen „Future Baby“ und „Father, Mother, Donor, Child“ ist die Wiener Filmemacherin Maria Arlamovsky um die ganze Welt gereist: Sie sprach mit auf künstliche Befruchtung spezialisierten Ärzten und Ärztinnen in Spanien und New York, mit Leihmüttern in Mexiko, IVF-Kindern in Tel Aviv oder (kurz vor dessen Tod) mit dem Erfinder der Pille – Carl Djerassi – über die Zukunft der Reproduktionsmedizin, um herauszufinden, inwieweit die Bio-Technologie heute den Wunsch unfruchtbarer Eltern nach einem – möglichst perfekten – Kind erfüllen kann. Soll sie das überhaupt? Entstanden sind zwei engagierte und nachdenklich stimmende Filme, die immer wieder zur Frage hinführen (so auch der Untertitel zum Film „Future Baby“): „Wie weit wollen wir gehen?“ Rainer Wisiak hat sie zu einem Interview in ihrem Filmstudio in Wien getroffen.

Frau Arlamovsky, Ihre letzten beiden Filme drehen sich um die Themen „Wunschbaby“ und „Repoduktionsmedizin“. Nicht gerade Themen, die man in den alltäglichen Schlagzeilen findet.

Das hat, was das Thema „Wunschbaby“ betrifft, sicherlich damit zu tun, dass das noch ein großes Tabuthema ist. Unfruchtbar zu sein ist für viele zum einen eine tiefe Verletzung, zum anderen wird unterschätzt und zu wenig wahrgenommen, wie viel Leid auf der Strecke liegt, um durch künstliche Befruchtung ein Baby zu bekommen, denn die Baby-Take-Home-Rate lag in Österreich im Jahre 2013 bei 23 Prozent, das heißt: bei über 70 Prozent der Fälle hat es nicht geklappt.

Und das Thema „Reproduktionsmedizin“ taucht in den Medien meist nur auf, wenn diese auf skurrile Ereignisse stoßen und dann gewichtige ethische Fragen auftreten.

Genau. Wie zum Beispiel jener Fall, wo ein japanischer Single-Mann in Thailand von 15 Leihmüttern 17 Kinder hat austragen lassen. Da entstehen dann schon so Fragen wie: Was macht er dann mit diesen Kindern? Oder der eine Fall eines australischen Paares, das von einer Leihmutter Zwillinge bekommen hat, von denen das eine Kind gesund war und das andere Down-Syndrom hatte. Dieses Paar hat das gesunde Kind mitgenommen und das Kind mit Down-Syndrom bei der Leihmutter gelassen. Das sind dann Situationen, wo ein großer Unmut entsteht und sich gewichtige ehtische Fragen auftun.

Sie weisen in Ihren Filmen darauf hin, dass es für viele dieser Bereiche nur nationale Gesetze und zu wenige international bindende Gesetze gibt – und dadurch viele „Grauzonen“ entstehen.

Ja, und diese „Grauzonen“ beziehen sich ja nicht nur auf Länder wie Thailand – die findet man auch in Europa zur Genüge. In England zum Beispiel haben die inzwischen zahlreichen Spender-Kinder es gemeinsam geschafft, das Gesetz dahingehend zu verändern, dass man nicht mehr anonym spenden kann und die Kinder somit erfahren können, wer ihre genetischen Vorfahren sind. Und was machen Eltern, die das den Kindern trotzdem nicht sagen wollen? Die fliegen jetzt alle nach Spanien, weil es dort immer noch anonym gemacht werden kann.

Oder Österreich – da ist es inzwischen auch schon erlaubt, Eizellen zu bekommen. Nun hat hier der Gesetzgeber versucht, aus dem Dilemma herauszukommen, indem er festhält, dass man keine Körperteile verkaufen sollte und dass es ungesund für die Spenderinnen ist – weil man sich bewusst war, dass das ein massiver Eingriff für die Eizellspenderinnen ist. Und da könnte man jetzt der österreichischen Ethikkommission sozusagen auf die Schulter klopfen und sagen: Ja, die haben versucht, ein sehr ethisches Gesetz zu machen. Aber die Praxis sieht dann so aus, dass man aufgrund dieses Gesetzes in Österreich kaum Eizellen bekommt und deshalb dafür einfach zu einer Partnerklinik nach Bratislava fährt. Und dann fragt man sich natürlich: Warum ist eine slowakische Eizelle weniger schützenswert als eine österreichische? Da merkt man dann schon: solange man versucht, mit nationalen Gesetzen ethisch `korrekt´ zu sein, entsteht leicht so etwas wie eine Doppel-Moral.

In Ihren Filmen lassen Sie alle an diesem Thema Beteiligten vorbehaltslos zu Wort kommen. Man gewinnt den Eindruck, Sie wollten einen zu diesem Thema „neutralen“ Film machen … 

Ich wollte zeigen, was abläuft. Und ja, ich wollte einen großen Schritt zurück machen, weil ich denke, es geht ja nicht so sehr darum, wie ich darüber denke. Und will man eine große Diskussion beginnen, kann man ja nicht sagen: das sind die Guten und das sind die Bösen! Das ist bei einem so komplexen Thema ja viel zu einfach, als dass man da mit einem Finger hinzeigen und sagen könnte: der und die und so, ja? Was ich mit meinen Filmen bewirken wollte, ist: dass man beginnt, wirklich  darüber nachzudenken, hinzuspüren, wo man selbst nicht mehr weiter gehen würde und dass man sich eine persönliche Meinung zu dem Thema bildet, die auch ambivalent sein kann – weil es zu diesem Thema keine einfachen und simplen Antworten gibt.

Weil es ein sehr komplexes Thema ist … 

… weil es ein super komplexes Thema ist!

In einem anderen Interview haben Sie einmal gesagt, Sie seien durch die Filmdrehs „bioliberaler“ geworden. Was haben Sie damit gemeint?

Es gibt die Unterscheidung zwischen „bioliberal“ und „biokonservativ“ – und diese bezieht sich auf vielerlei neue medizinische Angebote – nicht nur in der Reproduktionsmedizin – die möglich sind und immer möglicher werden, also darauf, ob man mit diesen – wenigstens gedanklich – mitgeht oder nicht.

„Bioliberal“ ist, wenn ich sozusagen die Einstellung habe: Gut, wenn man zum Beispiel mittlerweile genetisch testen kann, welches das vermeintlich beste Embryo wäre – denn dann teste ich das. „Biokonservativ“ wäre, zu sagen: Nein, diese Grenze soll man nicht überschreiten, denn es ist wichtiger, dass wir das nehmen, was ist und damit klarkommen.

Nun ist „Bioliberalität“ aber nicht gerade etwas, womit wir uns in unserer Kultur leicht tun, denn wir haben eine nationalsozialistische Ideengeschichte hinter uns und wissen, was Eugenik (Erbgesundheitslehre, Anm. d. Red.) bedeutet. Was aber gerade  passiert, ist, dass man eigentlich weltweit wieder eugenische Programme aufzieht – nur nennt man es nicht mehr Eugenik, denn das hat sozusagen einen schlechten Ruf. Aber eigentlich ist es dasselbe: Wir wollen irgendwie mit diesen medizintechnischen Methoden wieder einen besseren Menschen schaffen. Jetzt kann man sich fragen: Ist das legitim oder nicht? Und das muss jeder, der sich solche Fragen stellt, selbst für sich beantworten.

Womit ich nicht gerechnet habe, ist: Wenn man sich über einige Zeit ganz intensiv mit der Thematik beschäftigt und mit allen Beteiligten spricht, entwickelt man viel mehr ein Verständnis dafür, dass es so ist, wie es ist und man versteht, dass es so läuft, wie es läuft. Also wenn ich mich jetzt wochenlang in irgendeinem Labor aufhalte, wo Leute Eizellen mit Sperma befruchten und dann zuschauen, wie diese Zellen wachsen und dann wählen – welche von diesen Blastozysten setzen wir jetzt wieder ein? Dann sozusagen wird das ein „alltägliches Geschäft“, dem ich nicht mehr so schockiert gegenüberstehe wie am Anfang, wenn ich mir zum ersten Mal überlege, was das eigentlich bedeutet, was die da machen. Ich kann dann nachvollziehen, dass es Sinn macht, der Frau Leid zu ersparen und zuerst zu untersuchen, welche Embryonen `theoretisch´ austragbar sind.

Und es geht ja immer auch um dieses Verständnis der Einzelnen dem Einzelnen gegenüber, weil man die einzelnen Fälle besser versteht. Ein Beispiel: Ich habe in Israel einen Mann kennengelernt, dessen Frau an Krebs gestorben ist. Gemeinsam hatten sie Embryonen tiefgekühlt und mit diesen ist der Mann dann nach New York geflogen, hat sich dort eine Leihmutter genommen und von ihr ein Kind austragen lassen. Und er hat jetzt tatsächlich einen Sohn, den er aufzieht – von seiner verstorbenen Frau. Am Anfang war ich unheimlich schockiert darüber und habe mir gedacht: Irre! Total irre! Aber als ich die beiden dann gesehen habe, war es für mich einfach ein Ausdruck von unheimlicher Liebe – auch seiner Frau gegenüber. Und so seltsam das Konzept war, war es auf einmal ein Leben, das mir sehr liebevoll vorgekommen ist und das man nicht per se einfach verurteilen kann …

Weil einen der persönliche Kontakt ganz was anderes erfahren lässt?

Genau. Und je mehr von diesen Sachen passieren, desto mehr werden wir uns eben immer mehr daran gewöhnen. Das war schon immer so. Ich habe bei einem Filmdreh in Somalia erlebt, dass eine Frau bei einem Kaiserschnitt gestorben ist, weil der Chef von ihrem Clan eine Bluttransfusion verweigert hat, da er glaubte, mit dem Blut überträgt sich die Seele des Spenders mit. Aber in Europa sind Bluttransfusionen etwas ganz Gewöhnliches geworden und solche Gedanken haben wir heute bei uns bei einer Bluttransfusion nicht mehr.

In seinem Buch „Generation Kaiserschnitt“ vergleicht Michel Odent unsere Situation heute mit jener des „Zauberlehrlings“ in Goethes gleichnamigem Gedicht: die Geister, die wir riefen, werden wir nun nicht mehr los. Sprich: die Forschung in diesem Bereich galoppiert den ethischen Entscheidungen, die diesbezüglich zu treffen wären, davon …  

Die Forschung in der Reproduktionsmedizin ist halt für ganz viele ein unheimlich spannendes Feld, weil man da Sachen erobern kann, die man sonst nirgendwo mehr erobern kann …

Sie meinen, auf dem Mount Everest waren alle schon … 

Ja, da waren alle schon. Aber das Leben immer besser kreieren zu können ist halt der neue Mount Everest – sozusagen 🙂

Die Ärzte im Film „Future Baby“ kommen so souverän rüber. Galoppieren denen nicht auch die ethischen Entscheidungen davon?

Über alle Ländergrenzen hinweg habe ich gesehen, dass die Ärzte und Ärztinnen oft überfordert sind, weil letztlich die ganze Thematik an ihnen hängen bleibt. Da kommen Paare zu ihnen, die irgendwas wollen, und zwar unbedingt(!) wollen – weil eben dieser Kinderwunsch so ein massiver Wunsch ist. Die kommen und wollen ein genetisches Kind, obwohl Samen und Eizellen nicht mehr die Qualität haben, sie wollen unbedingt genetische Tests, sie wollen unbedingt das Geschlecht aussuchen, sie wollen unbedingt eine Leihmutter … also ganz egal was, aber es gibt diesen unheimlichen Drang, ein Kind oder einen Stammbaum unbedingt zu wollen.

Und dann sitzen da aber Ärzte, die weder dahingehend ausgebildet und psychologisch geschult worden sind, diese ganzen Beratungstätigkeiten auszuführen noch ethisch genügend weit unterstützt werden – aber diese ganzen ethischen Entscheidungen bleiben dann an ihnen hängen. Mir haben Ärzte erzählt, dass es für sie oft sehr schwer ist, zu entscheiden, ob das jetzt eine gute Idee ist, einer Person, die ein gewisses Alter schon überschritten hat, ein Kind zu „machen“ – unter Anführungszeichen. Nur weil diese Person jetzt die finanziellen Mittel dazu hat? Also ich glaube, es sind alle Partner in diesem Prozess schwer überfordert, weil es wenige bis keine offiziellen Stellen gibt, die eigentlich dafür zuständig sein müssten, zu schauen – auch das Kindeswohl betreffend – ob eine Schwangerschaft noch sinnvoll ist.

Da wären wir wieder bei diesem Graubereich, den wir anfangs schon erwähnt haben. Im Gegensatz zur Adoption, wo alles bis ins Detail geregelt ist … 

Richtig, bei der Adoption oder auch einer Pflegschaft ist es so, dass man immer wieder mit Sozialarbeitern konfrontiert ist – die schauen den Wohnplatz an, die schauen die finanziellen Verhältnisse an, die schauen die gesundheitlichen Ressourcen an, die schauen die polizeilichen Daten an, ob auch wirklich alles passt, das heißt: da wird ganz engmaschig gescreent! Aber im Falle von Kindern, die ich über Invitrovertilisation oder halt bis hin zur Leihmutterschaft „machen“ kann, gibt es diese Mechanismen nicht – Mechanismen, die hinterfragen: Ist das für ein Kind dann eigentlich auch eine tragbare Situation? Also ich mag jetzt hier nicht übermoralisieren, denn ich finde schon, dass jeder ein Recht auf ein Kind hat, aber ich glaube, dass der medizinische Apparat diesbezüglich überfordert ist und es dann eben nur noch eine Sache des Geldes ist, dass letztlich an die Stelle einer Kontroll-instanz dann einfach die Finanzkraft des Einzelnen tritt, im Sinne von: Wer Geld hat, kann sich alles machen lassen.

Aber es ist halt leider die Realität, dass man die Forschung davongaloppieren lässt. Jaron Rabinovici, der eine Arzt aus Israel, formuliert das in „Future Baby“ sehr gut: „Stellen wir uns diese ethischen Fragen vorher, diskutieren wir das vorher durch oder machen wir das alles `while running´?“ Wir haben uns längst für das „while running“ entschieden …

Geforscht wird ja oft auch in „falschen“ Bereichen … 

Ja, denn interessanterweise wird ja nicht untersucht: Warum werden wir alle immer unfruchtbarer? Was sind denn die – sozusagen – umweltpolitischen Grundprobleme, die dazu führen, dass sich die Samenqualität in den letzten 50 Jahren halbiert hat? Oder: Was sind die strukturellen Ursachen dafür, die uns eigentlich daran hindern, in dem Alter Kinder zu bekommen, wo wir gut Kinder bekommen können?

Aber geforscht wird eben dort, wo es Geld zu machen gibt! Das war schon ein bisschen schockierend, das während der Drehs immer wieder zu erleben. Zum Beispiel: Da gab es im Internet über 15 Jahre dauernde Langzeitstudien aus Australien, die besagt haben, dass Invitro-Kinder verhältnismäßig größere Probleme mit den Nieren haben als Nicht-Invitro-Kinder. Diese Studien sind dann ganz schnell von der Bildfläche verschwunden, während fast gleichzeitig in England auf einer Website dieser Reproduktions-„Industrie“ – gleich auf der ersten Seite – eine Einladung zu lesen war, Studien dazu einzureichen, die beweisen, dass es keine graduellen Unterschiede zwischen Invitro- und Nicht-Invitro-Kindern gibt. Und mit „Industrie“ meine ich jetzt gar nicht die „böse Industrie“, sondern es IST einfach eine Industrie, weil damit sehr viel Geld zu machen ist.

Das Thema ist wahrscheinlich so komplex, dass man aus jedem Teil des Filmes „Future Baby“ wieder einen eigenen Film machen könnte … 

So gesehen war das auch bei meinem neuen Film „Father, Mother, Donor, Child“ der Fall. Zum einen hatte ich bei „Future Baby“ so umfangreich gedreht, dass ich viel Filmmaterial auch zum Thema „Spender-Kinder“ hatte. Und das war während des Drehs zu „Future Baby“ eine der spannendsten Fragen für mich: Was bedeutet es für die erwachsenen Kinder, damit leben zu müssen, nicht zu wissen, wer ihre genetischen Vorfahren sind? Deshalb dann dieser Film.

Zum einen ist das ein Thema, das es immer schon gab, denn es gab immer schon „Kuckucks-Kinder“ in Familien, die genetisch eigentlich einem anderen Vater gehört haben. Das ist eine sehr alte Problematik.

Aber was geschieht, wenn man irgendwann im Leben einmal draufkommt, dass der vermeintliche Vater gar nur der soziale Vater ist? Und das ganze Leben dann eigentlich auf einer Lebenslüge basiert? Wir wissen heute, dass die Menschen, die dann draufkommen, sehr leiden, weil  sozusagen eine Grundfeste ihres Lebens einfach wegbricht – das Vertrauen um das Wissen ihrer Herkunft. Wir wissen das auch aufgrund der vielen Geschichten von „Lebensborn-Kindern“ aus dem Dritten Reich, wo nun heute 70/80-jährige Menschen in Büchern darüber schreiben, wie sehr sie gelitten haben, nie gewusst zu haben, wer denn ihre Väter eigentlich waren, sie sich nie spiegeln konnten.

Das heißt: die Literatur ist voll von Materialien darüber, die belegen, dass Adoptivkinder für ein gutes Gedeihen unbedingt das Wissen um ihre Herkunft brauchen, weil es ihnen dann leichter fällt, mit dem Leben umzugehen, das sie dann halt haben. Und obwohl man das alles weiß, tut man jetzt wieder so, als hätte das keine Auswirkung, wenn man anonym per Samen- oder Eizell-Spende „gemacht“ wird. Und ich finde es ein bisschen widersinnig, dass man nicht eins und eins zusammenzählt und sagt: Wenn das für Adoptivkinder schlecht ist, wenn das für diese „Lebensborn-Kinder“ nachgewiesenermaßen sehr schlecht war, wenn das für diese „Kuckucks-Kinder“ unheimliche Probleme heraufbeschworen hat – warum trauen wir uns dann jetzt nicht zu sagen: Es ist einfach nicht richtig, nicht zu wissen, woher man genetisch kommt! Aber wie gesagt, einige Länder beginnen nun, ihre Gesetze diesbezüglich zu ändern. Nur, wie gesagt: auch wenn man Gesetze macht, die es den Kindern ermöglichen, mehr über ihre Herkunft zu erfahren, heißt das noch lange nicht, dass die Eltern dieses Wissen um die nicht gemeinsame genetische Linie teilen wollen.

Ich habe gelesen, dass Sie sich in Ihrem nächsten Film mit dem Thema „Robotik“ beschäftigen werden. Eine gänzlich andere Thematik?

Naja, es überschneidet sich ein bisschen … Als ich für „Future Baby“ zu recherchieren begonnen habe, ist mir ganz schnell klar geworden, dass es jetzt diese philosophische Strömung der „Transhumanisten“ gibt.

Und die Transhumanisten sagen, wir werden im jetzigen Stadium unseres Homo-Sapien-Seins sozusagen nicht mithalten können mit dieser ganzen künstlichen Intelligenz, die da jetzt auf uns zurollt. Also all die Systeme, die selbstlernend sind und so viel schnellere Lernmöglichkeiten haben als unser Gehirn, die werden uns bald einmal blöd ausschauen lassen – und die Transhumanisten sagen deswegen: Wir müssen upgraden, wir müssen uns verbessern! Wir müssen also schauen, dass wir eben zum Beispiel die genetisch intelligentesten Kinder aussuchen, bevor wir sie einsetzen und so … Also die kommen da wieder mit sehr viel altaufgewärmten Ideen daher, aber in einem neuen Mantel sozusagen. Aber eigentlich mag ich noch gar nicht so viel über mein neues Projekt erzählen 🙂

Gut – dann eine Frage den Untertitel zu Ihrem Film „Future Baby“ betreffend: Wie weit würden Sie gehen?

Also ich persönlich steige schon beim Thema „Hormonspritzen“ aus (lacht). Ich komme aus einem total alternativen Eck, habe meine beiden biologischen Kinder zu Hause gekriegt, habe ein Kind adoptiert, hatte früher zwei, jetzt noch ein Pflegekind – also ich bin diesbezüglich nicht das Maß der Dinge … ich steige bei dem Thema schon ganz früh aus!

Und ich habe ja auch immer Filme zu Themen gemacht, die den weiblichen Körper betreffen, die den weiblichen Körper beDRÄNGEN. Und ich glaube, mit diesen zwei Filmen ein Thema angesprochen zu haben, das jetzt wieder einen unheimlichen Druck auf die Frauen auslöst. Denn ich kann heute kaum noch sagen: Pech, ich kriege kein Kind! Denn dann kommen alle Omis, Opis, Tanten, Mamas und Papas und sagen: Ach – dann musst du zum Arzt gehen und der macht dir eins! Und wenn DER Arzt das nicht kann, dann musst du zum nächsten rennen, und wenn DER das nicht kann, musst du zur übernächsten Ärztin rennen, die dir irgendwas verspricht, das heißt: ich glaube, dass der Druck auf Frauen durch diese Möglichkeiten vehement gestiegen ist. Und es ist auch ganz schwer zu sagen: Ich möchte ein Kind adoptieren! Denn dann sagen alle: Ja, aber bitte, du wirst doch nicht ein genetisch fremdes Kind aufziehen, wenn du dir selber welche machen lassen kannst – du musst ja nur zur Fertilitäts-Klinik gehen …

Wird dieser Druck noch steigen?

Sicherlich, nehmen Sie nur zum Beispiel dieses Thema „Gen-Schere“, von dem jetzt alle reden. Das kann man bereits mit Mäusen und Affen machen, dass man genetisch in das Erbmaterial eingreift, um Sachen zu verändern, bevor man das Embryo dann einpflanzt. Das sind lauter Sachen, die wir vielleicht noch erleben werden, das ist gar nicht mehr so weit hergeholt. Und dann ist es tatsächlich so, dass man als Eltern unter Druck kommt, weil: Ist man dann eine schlechte Mutter und ein schlechter Vater, weil man dieses oder jenes nicht genetisch gescreent hat, weil man jene Krankheit nicht auch noch ausgeschlossen hat? Wann werden die Kinder dann zu klagen beginnen und fragen: Ja, warum hast du das nicht auch noch untersuchen lassen? Warum muss ich jetzt mit dieser oder jener Krankheit leben, nur weil du nicht bereit warst, genetisch zu testen? Und vielleicht denken Eltern einmal: Ja, hätte ich noch zehntausend Euro ausgegeben, hätte ich noch das und das machen können und es würde meinem Kind besser gehen – denn, man will ja immer das Beste für sein Kind. So, wie es halt jetzt „in“ ist, dass Kinder schon im Kindergartenalter Englisch oder Chinesisch lernen. Das tun Eltern auch nicht, weil sie ihre Kinder quälen wollen, sondern weil sie glauben, sie verschaffen ihren Kindern dadurch Startvorteile. Aber das ist so eine Falle. Und wird man in Zukunft genetisch das intelligenteste Embryo auswählen oder das gesündeste oder welche Marker auch immer gerade sozial „in“ sind, nur um seinen Kindern Startvorteile zu verschaffen?

Wer weiß? Aber um noch einmal zurückzukommen auf die eine Frage „Wie weit würden Sie gehen?“ – da würden Sie antworten: Überall dort, wo Druck erzeugt wird, würden Sie „aussteigen“ …

Ja – aber nochmals: Ich finde, das muss jede Frau für sich selbst entscheiden, was für sie möglich ist. Letztlich ist jede Person selbst dafür verantwortlich, die eben ein Kind unbedingt will, wie weit sie gehen will. Letztlich kann man diese Entscheidungen auch nicht auf Gesetze auslagern, denen ich mich halt unterwerfe oder denen ich ausweiche. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man da gut hinspürt und sich dieser vielen kleinen Entscheidungen, die man da treffen muss, bewusst ist – und auch der Konsequenzen, die sich daraus ergeben.

Elternschaft wird nicht unbedingt leichter. Früher war ein Kind ja ein Geschenk und man hat gedacht: WOW – ein Geschenk Gottes oder ein Geschenk der Natur oder … also, man hat jedenfalls genommen, was man geschenkt bekommen hat. Und die Verantwortung dafür verschiebt sich jetzt immer mehr auf die Seite des finanziell Machbaren.

Aber ich glaube, es gibt auch immer diese Pendelbewegungen: zuerst MACHT man etwas, obwohl man in Wahrheit die ganzen Parameter dafür gar nicht überschaut. Man glaubt, Kaiserschnitte sind jetzt besser, weil dann Mutter und/oder Kind nicht sterben. Punkt. Also macht man Kaiserschnitte. Dann kommt man nach – was weiß ich – vierzig Jahren drauf, dass die vaginale bakterielle Bevölkerung, die ein Kind an sich nimmt, wenn es sich durch den Geburtskanal zwängt, ganz entscheidend ist. Und was machen die Hebammen heute? Sie schmieren dem Kind nach dem Kaiserschnitt diese vaginale Schmiere einfach über das Gesicht …

Das heißt: die Praxis kümmert sich dann sozusagen immer wieder darum, dass es das davongaloppierte vermeintliche Wissen wieder einholt. Und das sind doch eigentlich die spannenden Momente, wenn wir draufkommen, dass wir oder die Wissenschaft wieder einmal ein bisschen zu wenig weit gedacht haben. Wir glauben immer nur, wir beherrschen was und wissen irgendwas – de facto denken wir viel zu wenig komplex.

Genau so ist es mit der ganzen Genforschung, wo sie gesagt haben: Ja, jetzt entschlüsseln wir die DNA und dann kennen wir die Buchstaben des Lebens und dann haben wir dieses Buch der Gene vor uns und wissen alles. Und jetzt kommen wir drauf, dass die einzelnen Enzyme noch so viel mehr regeln! Also selbst wenn wir die genetischen Marker wissen, wissen wir noch lange nicht, wie die Enzyme diese Gene an- und abdrehen.

Wir glauben immer, dass wir es besser wissen, aber anscheinend wissen wir es selten besser, weil alles meistens noch viel komplexer ist, als wir Menschen denken. Und diese Schritte und diese Offenheit, diese Komplexität überhaupt zuzulassen, dass es da noch mehr als unser jetziges Wissen geben kann – das, glaube ich, ist die Größe, die wir brauchen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Gerne.