Meine Narbe

Für viele Frauen ist ein Kaiserschnitt eine psychische und körperliche Belastung, die neben einer Narbe am Bauch auch Gefühle wie Schuld, Scham, Enttäuschung, Traurigkeit und Wut hinterlässt. Doch wie ist es möglich, körperliche und seelische Narben bei ihrer Heilung zu unterstützen? Ein Beitrag von Judith Raunig.

Also ich hatte einen Kaiserschnitt, und das war nicht so toll. Ich konnte Tage lang nicht alleine aufstehen oder mein Kind versorgen, noch heute nach einem halben Jahr schmerzt meine Narbe.“ „Echt? Meine Schwester hatte auch einen Kaiserschnitt, aber für die war das nicht so schlimm. Die ist froh, dass sie ein gesundes Kind hat.“

So oder ähnlich laufen jeden Tag Gespräche zwischen Müttern neben Schaukel und Sandkiste, Rutsche und Kinderwagen ab.

Dabei wird oft verglichen, wer wann und wie schnell wieder „fit“ war. Meist fehlt dabei die Empathie für Frauen, die sich trauen, von ihrer belastenden Geburt zu erzählen.Statt zu hinterfragen, was denn dazu geführt hat, dass die Mutter die Schnittentbindung als belastend erlebt hat und Mitgefühl für sie zu zeigen, werden Beispiele anderer gesucht, die das ja alles „viel besser weggesteckt haben“.

Das hat zur Folge, dass sich Frauen, die durch eine Kaiserschnittgeburt belastet oder gar traumatisiert sind, mit ihren spürbaren Auswirkungen alleine fühlen. „So viele Frauen haben einen Kaiserschnitt, und die kriegen das doch auch hin“ ist ein Satz, den ich in meiner Praxis oft zu hören bekomme. Manchmal haben diese Frauen irgendwann begonnen, sich zurückzuziehen und besprechen ihr Erlebnis nicht einmal mehr in ihrem engsten Freundeskreis.

Kaiserschnitt ist nicht gleich Kaiserschnitt

Und genauso wenig ist jede Kaiserschnittgeburt ein traumatisierendes Erlebnis. In erster Linie geht es darum, wie die Schnittentbindung abgelaufen ist.

Ob ein Kaiserschnitt als belastend oder traumatisierend erlebt wird, hängt von vielen Faktoren ab: Worauf war die Frau/das Paar vor der Geburt eingestellt? Hat sie einen Kaiserschnitt „auf dem Schirm“ gehabt oder war dieser völlig außerhalb des Möglichkeitsbereiches? Wie hohe Priorität hatte die vaginale Geburt für die Mutter? Ob sich eine Frau übergangen, ausgeliefert, hilflos oder schlecht begleitet gefühlt hat, hat sehr viel mit den Umständen der Geburt zu tun:

Wie hat sie sich während der Geburt betreut gefühlt? Ist sie in die Entscheidung für den Kaiserschnitt eingebunden worden, oder hatte sie das Gefühl, komplett überrumpelt worden zu sein? Gab es während der Geburt und auch im OP eine Person, die ihr warmherzig und fürsorglich zur Seite gestanden ist? Wurde der Kaiserschnitt mit Kreuzstich oder Vollnarkose durchgeführt, hatte die Mutter Angst um ihr eigenes Leben oder das Leben ihres Kindes? Wie schnell war das Bonding nach der Geburt möglich? Wurde die Frau im Wochenbett gut unterstützt und wie stark hat sie den Wundschmerz empfunden?

Die Ursachen dafür, dass eine Frau die Geburt als belastend erlebt hat, können demnach sehr vielseitig und umfangreich sein und sind in erster Linie einmal zu respektieren und ernst zu nehmen. Was dabei in erster Linie zählt, ist das subjektive Empfinden der Frau. Hat sie sich im Kreißsaal  alleine gelassen gefühlt, dann zählt diese Wahrnehmung und nicht, wie viele Personen tatsächlich anwesend waren und vielleicht sogar mit ihr gesprochen haben.

Jede Mutter freut sich über ein gesundes Kind

„Hauptsache das Kind ist gesund.“ Ein Satz, der vielleicht manchmal als Trost gemeint ist, aber leider bei den meisten Frauen mit einer belastenden Geburt als Vorwurf ankommt. Ich denke, es ist der überflüssigste Satz, den man zu einer Kaiserschnittmutter sagen kann, denn jede Frau ist froh, wenn ihr Kind gesund ist. Die Botschaft, die mit diesem Satz transportiert wird, wird vom Großteil der Frauen nicht als Trost, sondern als Vorwurf verstanden: Negative Gefühle rund um den Geburtsmodus sind also nicht gewünscht und sollen weder gefühlt noch artikuliert werden.

Dabei ist gerade das Wahrnehmen und Zulassen dieser sehr unterschiedlichen, oft ambivalenten Gefühle und die Auseinandersetzung damit, ein ganz wichtiger Schritt zur psychischen Verarbeitung des Erlebnisses. Die Herausforderung für die Psyche ist es also, die vielen verschiedenen Gefühle zur Geburt gleichwertig nebeneinander stehen zu lassen.

Eine Mutter kann also traurig, enttäuscht oder vielleicht wütend über die Geburt sein und sich gleichzeitig freuen, dass ihr Kind gesund ist. Negative Gefühle in Zusammenhang mit der Geburt zu empfinden bedeutet nicht, dass die Freude über das gesunde Kind nicht da ist. Und genauso wenig bedeuten sie mütterliche Egozentrik. Dort wo Verletzung passiert ist, ist auch ein Schmerz da, der gefühlt und gezeigt werden darf.

Oft ist es der eigene Partner, der versucht, seine Frau mit diesem Satz zu trösten, meist aus dem Wunsch heraus, etwas für sie zu tun, etwas zu verbessern und somit ihr zu helfen.  Dabei ist eigentlich alles, was in diesem Moment zu tun ist: zuhören und die Wahrnehmungen der Mutter respektieren.

Viele Väter sehen den Kaiserschnitt als „Rettung“

Frauen haben ein sehr großes Bedürfnis, von ihren Partnern in ihrem Schmerz verstanden zu werden. Dabei versuchen sie auf unterschiedlichste Art und wiederholt ihren Partnern zu vermitteln, wie sie sich vor/während und nach dem Kaiserschnitt gefühlt haben. Viele Väter können diese Schilderungen nicht nachvollziehen. Denn für sie war der Kaiserschnitt (auch) eine Rettung.

Die eigene Frau lange leiden zu sehen, mitzubekommen, dass etwas nicht so läuft, wie es geplant war und dabei „nur“ zusehen und nicht eingreifen zu können, ist für viele Väter oft kaum erträglich. Dass der Arzt/die Ärztin dann den Kaiserschnitt anbietet, ist für manche Männer eine willkommene, rasche Lösung für ein Problem, das leider anders nicht zu beheben war.

Dazu kommt, dass oft Väter das Bonding, also den ersten Neugeborenen-Eltern-Hautkontakt mit dem Baby erleben dürfen. Viele Väter haben diesen Moment in wunderbarer Erinnerung und ganz besonders positiv abgespeichert.

Im Nachhinein fällt es vielen Paaren sehr schwer, das Erlebnis in einer für beide Partner befriedigenden Art und Weise zu besprechen. Häufig versucht die Frau, ihrem Partner immer  wieder zu erklären, wie sie sich gefühlt hat. Der Partner war zwar meist dabei, hat die Geburt aber aus einer ganz anderen Perspektive erlebt und will seiner Frau diese Seite auch näher bringen – oft aus dem Wunsch heraus, sie zu trösten. Bei vielen Frauen hat dies zur Folge, dass sie sich in ihrem Schmerz nicht gesehen fühlen. Manche Väter versuchen in diesen Gesprächen auch, ihre eigenen Emotionen gezielt zu verbergen, aus Angst die Frau dadurch noch mehr zu belasten. Wird eine belastende Kaiserschnittgeburt in einer Beziehung nicht geteilt, schafft dies Distanz zwischen den Partnern und hat nicht selten Beziehungsprobleme zur Folge.

Ein möglicher Lösungsweg wäre, dass beide Elternteile einander das Erlebte erzählen. Dabei sollte von keinem Partner der Anspruch erhoben werden, dass der andere die jeweils eigenen Gefühle nachvollziehen kann und es sollte auch kein  Versuch unternommen werden, die Sicht des Partners zu verändern.

Geburt ist keine Leistung

Viele Kaiserschnittmütter sehen die Schnittentbindung als persönliches Versagen, das Schuld- und Schamgefühle auslöst. „Andere Frauen schaffen das doch auch, warum habe ich es nicht geschafft?“ Für das ungewollte Ende der Geburt per Kaiserschnitt geben sie sich dann selbst meist die Schuld. Häufig kommen Frauen mit der Frage zu mir in die Praxis, was sie denn besser machen hätten können.

Ganz besonders hilfreich ist hier der Austausch mit anderen Müttern. Denn erzählt eine andere  Frau ihre Kaiserschnittgeburtsgeschichte, wird der Zuhörerin meist ganz schnell klar, dass die Gebärende rein gar nichts falsch gemacht hat und typische Interventionskaskaden, die im Spital tagtäglich ablaufen, werden schnell sicht- und begreifbar.

Auch ein Kaiserschnitt kann als Chance genützt werden

Der Weg zur Anerkennung des eigenen Schmerzes und die Aussöhnung mit dem Erlebnis ist in einem geschützten Rahmen und mit anderen betroffenen Frauen oft ein viel kürzerer.

Denn die Möglichkeit, das Erlebte mit anderen zu teilen, sich verstanden zu fühlen, zu sehen, dass die eigenen Empfindungen „normal“ sind und ein Kaiserschnitt in anderen Partnerschaften oft die gleichen Beziehungsdynamiken zur Folge hat, lässt die verlorene Selbstachtung wieder zurückkehren.

Sind die Gefühle, die in Zusammenhang mit dem Geburtserlebnis stehen, einmal wahrgenommen, respektiert und ausgedrückt worden, kann das Geschehene langsam losgelassen werden und es eröffnet sich die Chance, aus dem Erlebnis etwas mitzunehmen.
Im besten Fall kann dann auch so eine Krise wie ein ungeplanter, belastender Kaiserschnitt als Chance genützt werden, Stärkung für den weiteren Lebensweg zu erfahren. So meinte eine Teilnehmerin einer meiner Kaiserschnittgruppen:
Mir ist durch die Auseinandersetzung mit meinem Kaiserschnitt bewusst geworden, dass ich in Zukunft mehr auf mein Bauchgefühl hören und mich vehementer wehren möchte, wenn jemand mit mir etwas macht, das mir nicht passt.“