Neben den im Buch „Inspiration Lernwerkstatt“ ausführlich portraitierten zwei Lernwerkstätten – der „Lernwerkstatt im Wasserschloss“ und der „Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau“ – war es das Ziel der hier vorliegenden Rubrik „Lernwerkstätten“, auch auf alle weiteren Lernwerkstätten in Österreich zu verweisen. Vier von ihnen – die „Lernwerkstatt Supersense“, die „Lernwerkstatt Wien West“, die „Lernwerkstatt Regenbogen“ sowie die „Lernwerkstatt Zauberwinkl“ – haben dem freigeist in den vorangegangenen Ausgaben ein Portrait zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!
von Rainer Wisiak
In all den genannten Schulen findet der Unterricht jahrgangsübergreifend statt – ebenso sind ein demokratisches Miteinander sowie Inklusion grundlegende Aspekte in den Konzepten dieser Schulen. Dies trifft aber auch auf viele weitere Schulen zu, die ähnliche („Schulwerkstatt“) oder gänzlich andere Namen („Schulstube“, „Lernzentrum“, etc.) tragen. „Lernwerkstattarbeit“ kann also unter verschiedenster Namensgebung stattfinden und diesbezüglich schrieben Karin Ernst und Hartmut Wedekind in ihrer Dokumentation „Lernwerkstätten in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich“ schon 1993:
„Kontroversen um das `richtige´ Konzept einer Lernwerkstatt, die früher gerne unter den wenigen ersten Werkstätten geführt wurden, erscheinen den vielen heutigen Initiatoren zweitrangig. Was zählt, ist, ähnlich der früheren englischen Schulreform, mit der die Lernwerkstatt-Bewegung viele Ansätze teilt, das `Beispiel guter Praxis´, das auch in dem Kontext, in den es übernommen wird, seine Wirksamkeit erweisen soll.“
So finden sich Lernwerkstätten heute im öffentlichen Schulsystem ebenso wie in Verbänden konfessioneller und nicht-konfessioneller Privatschulen und findet „Lernwerkstattarbeit“ in vielen weiteren inspirierenden Schulen statt, beispielhaft seien an dieser Stelle die „Schule am See“ in Vorarlberg, die „Lerngemeinschaft 15“ in Wien und die „Erlebnisschule“ in Niederösterreich genannt.
Erwähnt seien aber noch zwei einst in Wien beheimatete Lernwerkstätten, die über viele Jahre hinweg Bestand hatten: die „Lernwerkstatt Ottakring“ (vormals „Lernwerkstatt Döbling“), welche von 1991 bis 2008 als private und nicht-konfessionelle Schule ohne Öffentlichkeitsrecht existierte sowie die öffentliche Schule „Lernwerkstatt Donaustadt“. Der Werdegang bzw. das Ende der beiden Schulprojekte beinhaltet durchaus verallgemeinerbare wichtige Erkenntnisse:
Der Umstand, dass die „Lernwerkstatt Ottakring“ nach 17 Jahren ihre Türen schließen musste, hatte im Wesentlichen (aber nicht nur) den Grund darin, dass sie ihren Alltag (wie fast alle privaten und nicht-konfessionellen Schulen) finanziell immer am Limit bestreiten musste und nach zweimaligen und unfreiwilligen Ortswechseln innerhalb kürzester Zeit keine Ressourcen mehr für den weiteren Betrieb aufbringen konnte. Viele weitere Schulen in freier Trägerschaft, denen es aufgrund einer mangelnden oder nicht fairen Subventionierung durch den Staat ähnlich wie der „Lernwerkstatt Ottakring“ ergangen ist, könnten hier aufgezählt werden.
Die Geschichte der „Lernwerkstatt Donaustadt“, welche diesen Namen von 2007 bis 2019 trug („Lernwerkstattarbeit“ wurde an der Schule bereits viele Jahre vorher schon gelebt und entwickelt), zeigt auf, dass auch der Fortbestand von innovativen Projekten im öffentlichen Schulsystem von vielen (und fragilen) Gelingensfaktoren abhängig ist. So gibt es im öffentlichen Schulsystem eigentlich keine Kultur zur Erhaltung von „Leuchtturmprojekten“. Ein pädagogisch anspruchsvolles Projekt bräuchte Mentoren und Mentorinnen sowie Unterstützer und Unterstützerinnen im System, die aktiv und offensiv solche Konzepte und Schulen fördern.
Gerade das Konzept einer Lernwerkstatt, das eine Lernumgebung schafft, in der Kinder und Jugendliche ihren Fragen an die Welt freier und selbstbestimmter als im gewöhnlichen Schulbetrieb nachgehen können, benötigt auch eine Schulleitung, die ein tiefgreifendes Verständnis für diese Pädagogik aufbringt, entsprechende Vorerfahrungen in der Arbeit mit inklusiven und altersgemischten Lerngruppen besitzt und in sehr anspruchsvoller Leitungsrolle das entwickelte Konzept kohärent mit dem pädagogischen Team weiterführen kann und will.
Eine verantwortungsvolle Personalpolitik der Bildungsdirektion sollte die oben genannten Qualifikationen von Bewerberinnen und Bewerbern in besonderer Weise gewichten, verbunden mit einem Auftrag zur Erhaltung, Weiterführung und Weiterentwicklung des spezifischen pädagogischen – also in diesem Falle – Lernwerkstatt-Konzeptes. Die Umbenennung der Lernwerkstatt Donaustadt und divergierende Auffassungen innerhalb des Kollegiums über die Ausrichtung der Schule stehen symbolisch für das Nicht-Gelingen einer konstruktiven Weiterentwicklung.
Nichtsdestoweniger verfolgt ein engagierter Teil des pädagogischen Teams die Idee der Lernwerkstattarbeit weiterhin, sei es an diesem oder nach einem Wechsel an einem anderen Standort.
Verwiesen sei an dieser Stelle noch auf Formen einer „Lernwerkstattarbeit“ in anderen Kontexten:
Als Oberstufen-Projekt versuchte von 2002 bis 2009 die „Studierwerkstatt“ (in Zusammenarbeit mit dem „polycollege“) in Wien, Jugendlichen im Sinne des „Erdkinderplanes“ von Maria Montessori sowie des „Red Autodidakta“ („Autodidaktisches Netzwerk“) von Rebeca und Mauricio Wild einen selbstbestimmten Bildungsweg zu ermöglichen. Das Projekt war im Wesentlichen (aber nicht nur) darauf ausgerichtet, Abgängerinnen und Abgängern von freien Schulen einen weiteren und selbstbestimmten Bildungsweg nach der Pflichtschulzeit zu ermöglichen.
Nach einem Umzug im Jahre 2008 von Wien nach Niederösterreich verlor das Projekt jedoch viele Kontakte zu maßgeblichen Netzwerken – welche nur in einer Großstadt möglich sind – und musste wegen sinkender Schülerzahlen ihre Tore schließen. Seit einiger Zeit gibt es auch in der „Lernwerkstatt im Wasserschloss“ Bemühungen dazu, eine Studierwerkstatt im oben genannten Sinne zu etablieren.
„Lernwerkstattarbeit“ findet aber auch an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten statt. Die ersten beiden Lernwerkstätten in diesem Kontext wurden im deutschsprachigen Raum in Berlin gegründet: 1981 an der „Technischen Universität“ und 1982 an der „Hochschule der Künste“ – in Österreich wurde die erste „Lernwerkstätte“ im März 1993 am damaligen „Pädagogischen Institut der Stadt Wien“ eröffnet.
Das Konzept dieser Lernwerkstätten geht auf das im Jahre 1972 von Lillian Weber am „City College“ in New York gegründete „Workshop Center“ zurück (dessen Entstehung von den in den 1960er-Jahren in England entstandenen „Teachers´ Centers“ inspiriert war). Das „Workshop Center“ war als Treffpunkt und Lernraum gedacht, in welchem Lehrer, Studenten, Eltern, Schulleiter und Schulverwaltungsbeamte sich über ihre Erfahrungen mit kindzentriertem, aktivem und problemorientiertem Lernen austauschen und in einer Umgebung mit reichhaltigen Materialien durch eigene Tätigkeit forschen und neue Erkenntnisse darüber gewinnen konnten.
Dieses Konzept begeisterte Karin Ernst, die in jahrelanger Zusammenarbeit und im steten Austausch mit dem „Workshop Center“ in New York ab den 1980er-Jahren mit vielen Gleichgesinnten mithalf, „Lernwerkstätten“ mit derselben Intention an deutschen Universitäten und Hochschulen aufzubauen und zu etablieren, denn nach Karin Ernst (und dem Konzept der „Lernwerkstätten“) müssten Erwachsene erst selbst die Möglichkeit haben, „anders zu lernen – aktiv, forschend, entdeckend, kreativ, offen –, um mit Kindern auf andere Weise Schule machen zu können.“
Seit den Anfangsjahren ist die Zahl der „Hochschullernwerkstätten“ stetig gestiegen und aktuell (Stand Herbst 2024) führt der „Verbund europäischer Lernwerkstätten (VeLW) e.V.“ 34 Hochschullernwerkstätten auf seiner Liste. Weitere Infos dazu unter: