Sonia Höllerer im Chat- Interview mit Antonia Stängl

Sonia: Du bietest schon seit vielen Jahren den Spielraum an, einen begleiteten Ort wo Kleinkinder sich an verschiedenen Materialien und Situationen ausprobieren können und auch einander begegnen.

Ich war ja vor kurzem in deinem SpielRaum um Fotos zu machen, und hatte da den Eindruck, dass das, was die Resilienzforschung personale Schutzfaktoren nennt, genau dort sehr viel Raum bekommt: 

Selbstwahrnehmung. Selbststeuerung. Selbstwirksamkeit. Soziale Kompetenz. Problemlösefähigkeit. Adaptive Bewältigungskompetenz. 

Bevor ich dich aber dazu genauer befrage: Vielleicht magst du mal kurz erklären: was ist ein SpielRaum?

gefärbt. So oder so ähnlich kommt wohl Geschichte zu Stande.

Von Sonia Höllerer 

Antonia: Der SpielRaum ist eine begleitete Eltern-Kind-Gruppe in einer altersgemäß eingerichteten vorbereiteten Umgebung für die Kinder, bei der die Eltern am Rand sitzen und die Kinder in ihren selbstgewählten Tätigkeiten wahrnehmen. Insofern ist er auch ein Raum für die Eltern, um sich zu entspannen und es einmal jemand anderem (mir) zu überlassen einzugreifen, wo dies vielleicht nötig wird.

Warum sind solche Räume für kleine Kinder wichtig?

Da gibt es natürlich unzählige Gründe dafür, aber spontan fällt mir sofort ein, dass es für kleine Kinder in dieser Welt, die meist so gar nicht auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist, unendlich wichtig ist, auch einmal diese Erfahrung zu machen. Nämlich dass es einen Raum gibt, der im Grunde genau auf ihr Interesse abgestimmt ist und in dem sie sicher und in Ruhe probieren und forschen dürfen. Im Idealfall überträgt sich diese Erfahrung dann auch auf zu Hause und auch diese Umgebung ermöglicht es den Kindern möglichst vielfältige Erfahrungen zu sammeln.

Ich hab ja vorhin schon das Thema für diese Ausgabe angesprochen: Wie ist deine Interpretation von Resilienz? Würdest du den oben genannten Schutzfaktoren zustimmen?

Das ist eine spannende Frage – tatsächlich habe ich mich noch gar nicht so speziell mit Resilienz beschäftigt, das war einer der Gründe sofort ja zu sagen, als Du mich für das Interview gefragt hast – das gibt mir nun die Möglichkeit auch darüber im Kontext SpielRaum nachzudenken.

Aus dem Bauch raus ist für mich Resilienz (geistige) Widerstandsfähigkeit gegenüber Schwierigkeiten. Insofern leuchten mir auch die ersten drei Schutzfaktoren unmittelbar ein.

Also, Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Selbstwirksamkeit.

„Ich habe, ich bin, ich kann“ – das ist laut Prof. Brigid Daniel von der Universität Stirling der Kern von Resilienz.  Das klingt auf Anhieb eigentlich eher selbstverständlich, aber bei genauerem Hinsehen kann ich mir schon vorstellen, dass es nicht immer einfach ist, für Kinder diese konkreten Erfahrungen zu erleben.

Was die pädagogische Haltung Emmi Piklers – die ja der Hintergrund für den SpielRaum ist – so besonders macht, ist ja genau der Raum den diese drei „Selbst“ Faktoren bekommen.

In dieser Haltung wird niemals „etwas mit dem Kind gemacht“ ohne es als Person mit einzubeziehen. Eine Mutter, die ganz zufällig mit ihrem Säugling zu meinem Vortrag kam (und dann viele, viele Jahre mit ihren Kindern geblieben ist) hat es so formuliert: „Du warst die erste, die mein Kind (außer mir) wirklich als Subjekt wahrgenommen hat, sonst war es eigentlich immer Objekt“.

Und wenn wir uns den allgemein üblichen Umgang mit kleinen Kindern (besonders Babys) anschauen, dann fehlt oft genau dieser Aspekt: das Kind als selbst handelndes Wesen wahr- und ernstzunehmen. Ganz praktisch heißt das – ich wende mich dem Kind zu, ich spreche es an, ich kündige an, wenn ich es bewege und gebe ihm die Zeit mit mir in Beziehung zu treten und selbst mitzumachen (z.B. beim anziehen).

Was wären deine Gedanken, wenn werdende Eltern auf diesen Begriff „Resilienz“ stoßen, und sich fragen: Was kann ich tun, um mein Kind diesbezüglich zu stärken?

Ich finde den Begriff Resilienz insofern etwas herausfordernd, als er doch sehr abstrakt ist und es gar nicht so einfach ist, ihn mit etwas zu verknüpfen, das zum persönlichen Erfahrungsschatz gehört. Und was mich daran auch noch beschäftigt ist die Verbindung von Resilienz, die sich sozusagen entwickelt und der Resilienz mit der ein Kind geboren wird. Denn für jeden, der so wie ich, mit Kindern quasi von Geburt an in Kontakt ist, ist es sehr wahrnehmbar, dass es ein „Temperament“ gibt, das Kinder bereits auf diese Welt mitbringen – und das hat dann auch eine Auswirkung auf das Thema Resilienz. Es gibt die sehr ruhigen Kinder, die wenig reagieren auf Licht oder laute Geräusche und am anderen Ende der Skala gibt es die sensiblen, sehr aufmerksamen Kinder, die eventuell schon zu weinen beginnen, wenn eine Schüssel im Raum scheppernd auf den Boden fällt.

Um es provokant auszudrücken, ich glaube dass manche Kinder von vornherein mit mehr Resilienz auf die Welt kommen als andere; und finde es für Eltern wichtig dies anzuerkennen, damit sie eben nicht unrealistische Erwartungen daran haben, welche Rolle sie bei der Resilienzentwicklung ihres Kindes einnehmen können.

Diesen Gedanken finde ich für junge Eltern äußerst entlastend.  Bei meiner Vorbereitung zum Thema hatte ich den Eindruck, Resilienz ist das neue it-Wort der Erziehungsexperten und man findet jede Menge Ratschläge, die Eltern befolgen sollten, um diese Eigenschaft möglichst zu fördern.

Du meinst also, die Resilienzentwicklung beginnt weder bei der Geburt, noch liegt die Verantwortung dafür allein bei den Eltern?

Ja, ich würde gerne Eltern die Bürde der alleinigen Verantwortung nehmen. Gerade für die „angeborene Resilienz“ von Babys sind ja Veranlagung einerseits, aber auch vorgeburtliche Erlebnisse andererseits mitverantwortlich. Und es wird werdenden Müttern mit all den modernen Möglichkeiten wahrlich nicht leicht gemacht, entspannt durch die Schwangerschaft zu gehen und auch ihr ungeborenes vor Stress zu schützen. Wenn ich Schwangeren eines gerne mitgeben würde, dann dass sie gut auf sich selbst hören sollen und bei Untersuchungen ruhig auch mal abwägen können, was ihnen diese bringt und auch wie sehr sie davon gestresst werden können (oder auch das Ungeborene). Und ganz besonders gilt das dann für den Geburtsvorgang. Gute Hebammen wissen, dass es vor allem auf die gute Selbstwahrnehung und Selbststeuerung der Mutter und ihre Verbindung zu ihrem Kind ankommt, wenn die Geburt friedlich und ohne Störung gelingen soll.

Und ich glaube es leuchtet unmittelbar ein, dass eine entspannte Schwangerschaft und Geburt die beste Voraussetzung für eine gesunde Resilienz des Babys ist.

Dem kann ich nur zustimmen. Manchmal läuft allerdings nicht alles so optimal. Was können Eltern tun, wenn die Umstände rund um die Geburt viel Verunsicherung zurücklassen, also sowohl  bei den Eltern als auch beim Kind?  Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass da das Gefühl bleibt, etwas „wieder gut machen“ zu müssen.

Gerade Eure Geschichte ist ja da ein wunderbares Beispiel dafür, dass es auch nach einem schwierigen Start noch so viel Möglichkeiten gibt, das eigene Kind und auch die Beziehung zum eigenen Kind wieder zu stärken. 

Aus meiner Warte würde ich das nicht ganz alleine versuchen wollen, sondern viel Unterstützung annehmen: von hilfreichen Verwandten und Freunden über die Begleitung des eigenen Prozesses. Gerade wenn Dinge sich schwierig entwickeln, ist es unrealistisch von sich als Eltern zu erwarten, dass man ohne Hilfe zu einem guten Miteinander finden kann. Überhaupt ist  die Idee, dass junge Eltern alles alleine können und schaffen sollen eigentlich absurd.

Wenn ich dich da richtig verstehe, ist Resilienz also eine dynamische Eigenschaft, die von mehreren Faktoren abhängig ist, und auch beeinflusst werden kann.

Abgesehen von der angeborenen Resilienz gibt es natürlich auch für Resilienz förderliche und dafür hinderliche Umstände. Am ehesten könnte ich meinen Instinkt dazu am Thema „passende Entwicklungsherausforderungen“ festmachen. Da es bei Resilienz ja darum geht mit Schwierigkeiten umzugehen wird sie, denke ich, auch darüber am besten geübt. Wenn also ein Kind ständig in überfordernden Situationen ist, die es nicht bewältigen kann wird es tendenziell aufgeben und auch keine größere Widerstandsfähigkeit aufbauen. Umgekehrt lernt es aber auch nicht das Nötige, wenn ihm ständig jedes Hindernis aus dem Weg geräumt wird, denn es weiß ja erst, was es alles kann, wenn es auch ausprobieren darf.

Insofern hast Du schon recht mit deiner Idee, dass der SpielRaum geradezu prädestiniert ist für eine gute Resilienzentwicklung. Da die Spiel- und Klettergeräte so gut auf die Entwicklung der Kinder abgestimmt, und auch die Gruppen sehr entwicklungshomogen sind, ergeben sich für die Kinder unzählige Möglichkeiten Neues – manchmal auch Schwieriges – auszuprobieren und auch sehr oft die selbst gestellte Aufgabe gut zu bewältigen. Falls es einmal doch zu einer unlösbaren Situation kommt – ein Bein steckt z.B. in einem Klettergerät fest – kann ich als Unterstützung dazukommen. Ich werde das Kind aber nicht „retten“, sondern dabei unterstützen, selbst eine Lösung zu finden, also in dem Beispiel: selbst  das Bein aus der kniffligen Lage zu befreien. Und sollte es doch einmal zu einer wirklich unangenehmen Erfahrung, wie einem Sturz, kommen, dann gibt es ja auch immer noch die Mama oder den Papa in deren tröstende Umarmung man finden kann.

Du sprichst das Thema Herausforderungen an. Als Mutter kenne ich das ja auch selbst sehr gut: man will gerne helfen, und natürlich geht es manchmal schneller, oder fühlt es sich sicherer an, den Kindern die eine oder andere Unannehmlichkeit oder sogar potentielle Gefahr aus dem Weg zu räumen.  Dieser Zwiespalt beschäftigt ja  Eltern nicht nur bei kleinen Kindern, sondern begleitet einen verlässlich bis ins Erwachsenenalter der Kinder.

Gerade wenn man in dieser Rolle drinnen steckt kann es schwierig sein, sich selbst gut einzuschätzen. Welche Erfahrungen hast du dazu gemacht? Wie kann man hier ein gutes Maß finden?

Bezogen auf die Resilienz sind wir jetzt wohl bei der „Gretchenfrage“ angelangt. Einerseits sollen und wollen wir unsere Kinder vor Überforderung schützen und andererseits richtet hier auch Unterforderung Schaden an. In der aktuellen Zeit und auch in der alternativen Blase rund um die Lernwerkstatt findet gerade letzteres leider sehr oft statt. Woran genau das liegt fällt mir schwer einzuschätzen, ich ahne aber, dass es etwas mit einer zu symbiotischen Beziehung zum eigenen Kind zu tun haben könnte. Ich selbst fand das bei meiner ältesten Tochter mit Abstand am Schwierigsten wahrzunehmen: was genau ist „ihr Problem“ und was ist „mein Problem“ oder anders ausgedrückt, wofür bin ich zuständig und wofür nicht.

Was ich mit Sicherheit sagen kann: es lohnt sich, sich immer wieder mit dieser Frage auseinanderzusetzen, denn es schwächt Kinder enorm, wenn Eltern sich (und sei es nur emotional) in ihre Entwicklungsaufgaben einmischen. Und umgekehrt stärkt es sie, wenn sie wissen: meine Eltern trauen mir im Wesentlichen zu, dass ich meine Schwierigkeiten selbst überwinde – und sie werden mir im Notfall (aber eben NUR im Notfall) zur Seite stehen.

Wie würdest du abschließend die Rolle der Eltern bei einer möglichst optimalen Entwicklung der Resilienz zusammenfassen?

Eltern spielen natürlich eine wichtige Rolle dabei. Sie sind aus meiner Warte der „sichere Hafen“.

Im Kontext SpielRaum sind sie dies ja im wahrsten Sinn des Wortes – das Kind wagt sich von ihrem Schoß weg in das Abenteuer und kann jederzeit in die Sicherheit zurückkehren.

Insofern ist also die „Selbstsicherheit“ der Eltern in ihrer Rolle auch bedeutsam. Und natürlich ist mir klar, dass es gerade bei „jungen“ Eltern viele Unsicherheiten gibt – ein weiterer Grund, warum ich die SpielRaumarbeit so sehr liebe. Ich finde meine Rolle, den Eltern in dieser wichtigen und aufregenden Zeit den Rücken zu stärken so lohnenswert. Am meisten Freude macht es mir, wenn Eltern dann das Angebot ihnen bei Fragen und Unsicherheiten zur Seite zu stehen auch gerne annehmen.