Die Vielfalt des Toilettenpapiers – oder Impulse für’s Mathematiklernen

Erinnerungen und Erzählungen zur Geschichte der Lernwerkstatt von Christine Glaser-Ipsmiller.

Auch heute lade ich Sie/Dich herzlich ein, neben mir auf meinem Ruhestands-Bankerl Platz zu nehmen, um mit mir ein wenig über meine Erinnerungen an meine lange Zeit in der Lernwerkstatt zu plaudern. 

Bei unseren letzten Treffen der vergangenen Ausgaben haben wir uns schon gemütlich zusammengesetzt und sind gemeinsam Erinnerungen nachgegangen.

Schön, dass SIE wieder da sind und schön, dass DU wieder da bist!

Es ist mir wichtig, nochmals anzumerken, dass es sich bei der folgenden Schilderung um meine ganz persönlichen Erinnerungen handelt. Sie sind von meinen persönlichen Eindrücken von Erlebtem und Durchlebtem gefärbt. So oder so ähnlich kommt wohl Geschichte zu Stande.

Von Christine Glaser-Ipsmiller 

Wenn wir also zusammen gut und gemütlich sitzen, dann beginnen wir einfach und ich erzähle drauf los.

Keine Sorge – ich mache keine Werbung für Toilettenpapier und es ist auch keine Ermunterung zur Vorratshaltung, wie wir sie am Beginn der Pandemie erlebten. Es ist vielmehr die Geschichte einer Panne, die dann doch noch eine positive Wendung genommen hat.

Ich erzähle heute von einer Begebenheit, die sich erst im Nachhinein recht heiter erzählen lässt. So ist es ja öfters – es passiert eine peinliche oder schwierige Situation, die, während sie anhält, nichts Lustiges an sich hat. Doch nach einiger Zeit, wenn alles vorüber ist, kann sich bei Erzählungen die heitere Seite zeigen. Ähnlich dem Galgenhumor.

So eine Geschichte erlebte ich etwa vor über zwanzig Jahren. Es war rund um die Zeit, als die Lernwerkstatt noch nicht sehr lange im Wasserschloss beheimatet war. Da das Schloss davor als Zinnfigurenmuseum gedient hatte, waren sehr viele Renovierungen bzw. Adaptierungen nötig. Zum Beispiel musste erst eine Zentralheizung eingebaut werden, denn das Schloss war zuvor nicht beheizt worden. Da wir erst zu Schulbeginn 1999/2000 übersiedeln konnten, musste der erste Winter ohne Zentralheizung verbracht werden. Es wurden mehrere kleine Öfen aufgestellt und mit Holz geheizt. Dennoch war es ziemlich kalt – warmes Gewand war unerlässlich! Abgesehen davon, ist die Raumhöhe ziemlich hoch und die Isolierung bei Schlössern generell nicht gut. Es war ein sehr ungemütlicher Winter. Wir waren trotzdem froh, ein neues Schulgebäude gefunden zu haben. Von Herzogenburg hatten wir leider ausziehen müssen. Einerseits war es dort schon längst zu klein geworden und andererseits hatten wir die Genehmigung zum Schulgebäude wegen eines kleinen Brandes im Keller – der zum Glück gleich bemerkt wurde – verloren. So mussten wir unseren schon lang gehegten Wunsch nach einem neuen Schulgebäude wohl oder übel rasch in die Tat umsetzen. Wir wünschten uns nach der Beengtheit ein großes Gebäude. Es sollte von Natur umgeben und dennoch verkehrsgünstig gelegen sein, da ja die meisten Schüler:innen nicht in St. Pölten wohnten, sondern anreisen mussten. (Das ist übrigens nach wie vor so). Und Wasser, also einen Bach oder Teich wollten wir auch noch. Ein ziemlich umfassender Wunsch. Wir dachten eigentlich, dass wir so ein Gebäude nie finden würden. Doch zufällig entdeckte eine Mutter eine Anzeige in der Zeitung – und so kamen wir schlussendlich ins Wasserschloss. Alles was wir uns wünschten – fanden wir vor: Sehr viel Platz, einen Garten mit altem Baumbestand und sogar einen Schlossteich. Die Verkehrsanbindung war ebenso gegeben. Insgesamt ein großes Glück!

Doch es musste eben noch viel renoviert und investiert werden.

So mussten zum Beispiel auch noch Türen eingebaut und viele andere notwendige Dinge errichtet werden.

Ohne Zusammenhalt im Verein und die tatkräftige Mithilfe von vielen helfenden Händen wäre dies natürlich unmöglich gewesen. Nochmals herzlichen Dank an euch alle, die ihr damals so toll gearbeitet habt!!! Ohne den Schwung, die Vision und die Umsetzungskraft von Eric und Peter hätten wir das damals nicht so gut geschafft! Vielen Dank an euch nochmals!

Jedenfalls waren dies sehr kostspielige Investitionen. Wieder einmal musste der Sparstift angesetzt werden. Die Devise hieß: Auch bei den vielen „kleinen Ausgaben“ sparen! Zum Beispiel beim Toilettenpapier. So wurde beschlossen, dass jede Familie Reih um ein Päckchen Toilettenpapier in die Schule bringt. Leider war diese Idee nicht lange von Erfolg gekrönt. Diese Verpflichtung wurde oft vergessen und wir alle wissen, dass dieser Umstand zu sehr unangenehmen Situationen führen kann….

So wurde beschlossen, dass dieser notwendige Verbrauchsartikel doch seitens des Vereins eingekauft wird. Nur, es musste unbedingt SEHR günstig sein – siehe Sparstift!

Sie erinnern sich – damals vor zwanzig Jahren gab es noch kein Internet, wo Bestellungen im Handumdrehen gemacht und auch Preise recht flott verglichen werden können. So schnappte ich mir das dicke Telefonbuch (ja auch so etwas gab es damals!) namens „Branchenverzeichnis“ und durchstöberte einschlägige Firmen nach Angeboten. Ich bekam dann netterweise einen Tipp, wo der Preis unschlagbar wäre. Ich telefonierte mit dem Inhaber und handelte einen guten Preis aus. Natürlich musste eine entsprechende Menge bestellt werden, damit die Firma einen entsprechenden Mengenrabatt geben konnte. Ich argumentierte auch, dass wir eine Schule mit sehr wenig Budget sind und der Inhaber zeigte Verständnis – allerdings meinte er, dass ich dann ein paar Paletten mehr nehmen solle, dann wäre der Preis unvergleichlich. Ich war von diesem Angebot, der Ersparnis und der Aussicht, dass das Problem am stillen Örtchen bald der Vergangenheit angehören würde, sehr angetan und bestellte mehrere Paletten. Ich war recht zufrieden mit meinem Verhandlungsgeschick. Noch…

Schon bald wurde geliefert – ein LKW wollte seine papierene Fracht abladen. Für Anlieferungen dürfen wir als Mieter die private Zufahrt des Vermieters nützen. Das Wasserschloss ist ansonsten nur über zwei Brücken zu erreichen, wobei eine nicht zu befahren ist. Der LKW wurde also eingewiesen und das Abladen begann. Die ersten Fuhren von Großpackungen wurden mit einer Transportrodel ins Schloss gekarrt und in die dafür vorgesehene Nische verstaut. Die Nische war bald voll und das Abladen ging munter weiter. Jetzt mussten sämtliche Nischen im Erdgeschoss befüllt werden. Auch auf Kästen wurden die Packungen gestapelt und in jeder nur erdenklichen Ecke wurden die Mengen an Packungen verstaut. In der Zwischenzeit wurde weiter munter abgeladen und ich wurde schön langsam nervös. Wo sollte diese unfassbare Menge denn untergebracht werden? Ich erkundigte mich bei dem Lieferanten, wie viel noch nachkommen würde. Meine Hoffnung, dass der LKW nicht nur uns, sondern danach noch einen anderen Zielort anfahren wollte, wurde zerstört. Denn der Mann meinte, dass die gesamte Fracht hier abgeladen würde. Wurde ja auch bestellt! „Äh, ja klar“ – meinte ich und dachte noch, wo bleibt das Loch, in dem ich vor Scham und Verzweiflung versinken könnte – der Strom an Toilettenpapier riss einfach nicht ab. Mittlerweile wurden natürlich auch die Schüler:innen auf die Lieferung aufmerksam und halfen netterweise mit, die Fracht zu verteilen und steuerten auch Ideen bei, wo sich noch Lagerplätzchen anbieten würden. Die rettende Idee war dann: Rauf mit dem Papier auf den Dachboden. Hier fand sich dann zum Glück noch genügend Platz.

Der nicht gedämmte Dachboden wurde also mit Klopapier isoliert! Für so ein altes Gebäude war das natürlich kein Nachteil. 

Nun kommen wir jedoch zu einem weiteren Effekt der schier unglaublichen Liefermenge an Toilettenpapier. Da mittlerweile der ganze Schulvormittag von diesem Ereignis durchdrungen war, kamen einige Schüler:innen auf die Idee, dem Phänomen der Menge auf den Grund zu gehen. Und dies wurde im Mathematikraum anhand mehrerer Rollen errechnet. (Wir hatten ja nun genügend davon…) Die Kinder wollten wissen, wie viele Meter misst eine Rolle Klopapier. Wie viele Abrissblätter hat eine Rolle und wie viele Meter hat eine Großpackung bzw. die ganze Lieferung? 

Das Ergebnis habe ich mir leider nicht gemerkt. Doch es waren sicherlich mehrere Kilometer. Eine längere Distanz jedenfalls. Vielleicht die Distanz St. Pölten-Wien oder mehr. Viele Spekulationen und Berechnungen waren die Folge. Es inspirierte die Kinder zu vielen Überlegungen und Rechenvarianten.  Die Klorollen-Berechnungen hielten mehrere Tage an. Ja und mittlerweile war auch mir klar, wie viele Rollen eine Palette fasst. So manches lernt man erst in der Praxis… Ich hätte jedenfalls davor niemals gedacht, dass Toilettenpapier neben seiner eigentlichen Bestimmung, ein Impulsgeber für Mathematik sein könnte… Das hat mich natürlich sehr gefreut und über meinen Fauxpas hinweggetröstet. Alle anderen waren wie immer sehr verständnisvoll und nahmen die ganze Geschichte mit Humor. Unser „Finanzminister“ war über die tolle Ersparnis selbstverständlich auch sehr erfreut.

Es war jedenfalls für die nächsten fünfzehn Jahre die letzte Bestellung. So lange hielt der Vorrat nämlich an. So günstig wurde nie mehr danach eingekauft! Die „Dämmung“ am Dachboden wurde nach und nach verbraucht und glücklicherweise irgendwann durch eine professionelle ersetzt. 

Sollte es wieder eine Flaute im Mathematikraum geben oder wollen Sie Ihrem Kind einen mathematischen Impuls setzen? Bitte nicht nachmachen. Diese Aktion lebte durch ihre Spontanität und Einmaligkeit. Kinder sind sehr gut darin, Manipulationen oder Motivationsversuche zu durchschauen. Sie müssten daher von der Neugierde der oben beschriebenen „Rollenberechnungen“ durchdrungen sein – um dann eventuell damit ihr Kind 

 „anzustecken“. Sollte das nicht der Fall sein, lassen Sie es lieber. In der Lernwerkstatt bleibt Ihr Kind neugierig und findet immer wieder Lernimpulse vor, kann viel ausprobieren und erforschen. Es muss ja nicht immer unbedingt Toilettenpapier sein…

Mein Fehler stellte sich demnach als ganz positiv heraus – wenn man davon absah, dass einem die Toilettenpapierpackungen eigentlich lange Zeit fast überall im Haus begegneten.

Doch diese Geschichte zeigt uns auch: Es geht nichts über Vielfalt, die Fantasie und den Einfallsreichtum, auch aus einfachen Dingen viel zu lernen. Bleiben wir also offen zu lernen, was und wo immer es auch sein mag.

auch der Titel der nächsten Freigeist-Ausgabe.