Die ununterdrückbare Lust an der Komik

Rudi Hebinger kenne ich seit der Zeit, als unsere Kinder gemeinsam in den Kindergarten gingen. Mein Sohn hat damals einmal bewundernd über ihn gesagt: „Der Rudi hat einen Ball so hoch hinaufgeschießt, dass er oben picken geworden ist.“ 

Ein Interview mit Rudi Hebinger, Theatermacher und Clown, von Maria Altmann-Haidegger.

Rudi, was ist für dich Humor? Wie bringst du die Leute zum Lachen?

Humor ist etwas sehr Individuelles. Was für den einen sehr lustig ist, ist für den anderen überhaupt nicht lustig, sondern befremdend. Humor hat etwas mit der Lebenssituation zu tun, wo du bist, deiner Sozialisation, deiner Kultur, deiner Persönlichkeit, … 

Es stellt sich die Frage: Wo entsteht der Humor? Wo entsteht der Witz? Oder auch: Wo entsteht mein Witz? Das findet auf vielen Ebenen statt, aber eine grundlegende davon ist: Du baust eine Erwartung auf und dann brichst du es und biegst in eine völlig andere Richtung ab, die einfach überrascht, mit der keiner gerechnet hat. Das kannst du verbal machen, aber auch mit einer Aktion.

Eine Spielart des Humors ist auch die Übertreibung. Es gibt ein Sprichwort: Zu wenig oder zu viel, das ist des Narren Ziel. Im Kontext der Clown-Performance ist es das „Nicht-Adäquatsein“, nicht das richtige Maß zu finden, also die komplette Über- oder Untertreibung. Eine Überreaktion auf etwas Banales oder eine Nicht-Reaktion auf etwas Schreckliches, das kann alles Humor sein. Eine weitere Spielart speziell des Clowns ist es auch, die Konvention nicht zu kennen, nicht zu akzeptieren oder zu persiflieren und etwas völlig anderes daraus zu machen oder Dinge wortwörtlich zu nehmen. Da entstehen oft absurde Situationen.

Was ist das Besondere an „Irrwisch“?

Was „Irrwisch“ besonders ausmacht – es sind drei Männer – und die männliche Energie ist oft eine starke, behauptende, magische, tragische, wuchtige. Und wir sind völlig das Gegenteil. Wir schmusen uns ab, wir sind uns peinlich, wir haben uns lieb, sind zärtlich zueinander, lachen über uns selbst, legen uns gegenseitig ein bisschen hinein, das ist sehr verspielt und überhaupt nicht männlich im herkömmlichen Sinn. Ich glaube, dass es irrsinnig wohltuend ist für viele Menschen, das zu sehen, dass so eine Energie sein kann zwischen Männern. Dass die verlieren können und trotzdem irgendwie stark da stehen. Das ist eine Stärke von „Irrwisch“ und eine sehr wichtige Idee unseres Spiels.

„Wegenstreits Gäste“, ein waghalsiges Hochstelzen Theater, „Grannies“ – Rentnerinnen machen Randale, die Comedy Bühnenshow „Hupft“ oder das Vaganten-Straßentheater „Die Gatschpletzn“… Wie entsteht so eine Performance? Gibt es da ein Rollenbuch oder so was?

Nein, das Schöne am Straßentheater: es ist immer Work in Progress. Auch nach 28 Jahren Arbeit ist jede Performance anders, weil es nicht wie beim Theater ein klares Umfeld gibt, wo man durch die vierte Wand in den geschützten Raum hineinschaut. Beim Straßentheater ist immer das Umfeld anders: die Plätze sind unterschiedlich, ebenso wie die Menschen. Man muss immer damit rechnen, dass jemand von außen interveniert, was dann in das Spiel integriert wird. Bei manchen Performances werden die Menschen auch ganz bewusst in das Spiel hereingeholt, damit wir überhaupt spielen können. Dazu bedarf es einer großen Lust und Freude an der Improvisation und am eigenen Überraschtwerden. Das ist ganz wichtig, dass wir uns überraschen lassen von dem, was passiert. Es gibt oft Momente in der Performance, wo man keine Ahnung hat, wie es weiter geht. Wenn man diese Momente ganz annimmt, werden sie zu Glücksmomenten. Irgendwo muss es weitergehen und man weiß nicht, woher kommt jetzt der Kick und wird die Tür geöffnet. Aber er kommt immer – er ist immer da. Hier ist es auch besonders wichtig, Fehler zu riskieren. Das ist das größte Geschenk, das man sich als Performer, als Clown geben kann. Etwas Falsches zu tun. In unserer Kultur sind ja Fehler nicht erlaubt – schon von klein auf, schon in der Schule darf man keine Fehler machen – da lernst du es zwar grad erst, aber du darfst schon keinen Fehler machen. Aber gerade den Fehler zu machen birgt die größte Lernerfahrung. Und damit umzugehen, das mit Freude anzunehmen, das als Geschenk zu nehmen, über dich selbst zu lachen, das ist für mich eines der grundlegendsten Dinge beim Humor, dass ich über mich selbst lachen kann. Jeder Mensch ist unvollkommen, niemand ist perfekt. Der Clown lebt mit seinen Fehlern und Schwächen, liebt sie und benutzt sie, wandelt sie um zu Stärken. Er lebt im Hier und Jetzt, nimmt das, was da ist, ohne es zu bewerten. Er ist in Verbindung mit seinem Publikum. Nur durch das Scheitern findet der Clown immer wieder zu neuen Lösungen. So ist das Leben bewältigbar, weil du ja nicht perfekt sein musst – weder nach außen noch dir selbst gegenüber. Du darfst dir selbst verzeihen, kannst dich einen Deppen schimpfen und lachen und probierst es noch einmal. Deine echten Freunde lieben dich so, wie du bist. Das ist der wahre Schatz im Leben.

Zum Beispiel eure clowneske Theatershow im Stil der Siebzigerjahre „Nujork Denzing Kwiin“ finde ich sehr unterhaltsam und originell. Da gibt es waghalsige Akrobatik, Singen, Tanzen, Trommeln… da muss man als Schauspieler schon sehr vielfältig sein, denke ich.

Bei dieser Performance sind wir mit Stelzen unterwegs. Wir als Schauspieler haben für uns eine Geschichte dahinter. Dieser Hintergrund macht uns spielfähig nach außen hin. Gibt uns gewisse Charaktereigenschaften. Die Figur, die ich bin, ist nicht die athletischste, wenn ich mich dann unvorteilhaft anziehe, eine viel zu enge Hose zum Beispiel, dann ist da ein kleines Wamperl, das drüberhängt – eigentlich urgrauslich – das ist gleichzeitig eine Überzeichnung und zeigt aber auch das Liebenswerte an der Figur. Eigentlich sind diese Figuren totale Looser, sie wollen es aber nicht wahrhaben. Sie liegen am Boden und stehen wieder auf – jeder sieht, dass sie Looser sind, nur sie selbst nicht, sie glauben, sie sind die Superstars. Jeder von ihnen auf seine Art und Weise. Man sieht dieses wahnsinnig Bemühte und dieses Scheitern der Figuren und man hat sie einfach lieb! 

In der Lernwerkstatt habt ihr mal die Feuer-Show „Loßt´s es brennen!“ aufgeführt. Eine sehr skurril-verspielte und herzerwärmende Performance, die ich wieder ganz anders empfunden habe als die anderen ….

Das ist eine ganz alte Produktion, die sich im Laufe der Zeit auch verändert hat. Ich bin nun 28 Jahre unterwegs und habe sehr viele Feuerproduktionen gesehen und wir sind die Einzigen, die das Feuer >> 

mit Humor nehmen. Die sich nicht auf das Mystische, Geheimnisvolle, Geladene, Schwere draufsetzen, sondern genau das Gegenteil machen. Die gegen den Strich denken – die Dinge immer in Frage stellen. Wir könnten das nicht, die Dinge so ernst zu nehmen, wir würden uns lächerlich vorkommen. 

Ihr fahrt mit euren Straßentheater-Produktionen um die ganze Welt. Allein im Jahr 2019 wart ihr neben Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien auch in Albanien, Polen, Tunesien und China. Wie geht das mit der Sprache?

In unserem Fall gibt es nur die Vaganten, die Sprache wirklich brauchen, das geht dann in Englisch auch. Die Vaganten in „Die Gatschpletzn“, das ist unser ureigenes Unseres, das ist von uns aus entstanden. Im Entstehungsprozess wurde die Technik immer weniger und das Spiel miteinander immer mehr – dasein miteinander, wahrnehmen, in der Figur sein. Da hat die Sprache schon eine Bedeutung und wir tun uns im deutschsprachigen Raum leichter. Es sind nicht die Worte, die wichtig sind. Das ist nicht so einfach zu übersetzen. Manche körperorientierten Produktionen kommen ohne Sprache aus, wie „Wegenstreits Gäste“, das sind drei Leute im Frack, die nicht reden und nichts verstehen, aber Freude bereiten wollen und alles missverstehen. Sie kennen unsere Regeln nicht – sie wissen nicht, was Eigentum ist und damit sind sie völlig naiv, harmlos und schuldlos, wenn sie von jemandem aus dem Publikum etwas nehmen und jemand anderem geben, weil der vielleicht lacht… und sie Freude bereiten wollen. Für mich als Spielfigur ist es dann völlig unverständlich, wenn mir dann jemand etwas nicht geben will, ein Nein da ist – damit entsteht aber wieder ein neues Forschungsprojekt, ein neues Spiel, das sich immer weiter entwickelt. Ich als Spielfigur entscheide, wo der Fokus ist – was wichtig und was nicht wichtig ist. Sobald ich beginne nachzudenken, ob das funktioniert, geht es nicht mehr. 

Habt ihr auch schon für Kinder gespielt?

Wir hatten mal eine Performance in der Rennbahnsiedlung für Kinder und Jugendliche. Auf dem Spielplatz – dem Terrain von Kindern und Jugendlichen. Und wir reden nicht. Wir mussten nach 20 Minuten das Ganze abbrechen, weil sie es nicht ausgehalten haben, dass wir nicht mit ihnen reden. Wir wurden bespuckt, sie haben an uns gezogen und wollten uns von den Stelzen runter holen und so weiter. Als wir umgezogen zurückkamen und sie uns erkannten, kamen sie näher: „Das war aber leiwand, Alter! Super! Wieso redet ihr nix? Deppert, aber leiwand…“ Sie waren vollkommen begeistert, aber mit der Art, dass wir nicht geredet haben, konnten sie nicht umgehen. Sie wollten von uns eine andere für sie bekannte Reaktion. 

Bei all euren Performances geht es viel um Berührung und Nähe. Wie ist das in Zeiten von Corona möglich?

Seit 28 Jahren ist das der erste Sommer, in dem wir nicht gespielt haben, wir haben einen Ausfall von hundert Prozent – kein einziger Irrwisch-Auftritt in diesem Jahr. Unsere Art des Spiels – zum Beispiel Glatze abschlecken, von fremdem Eis abschlecken und jemand anderem in den Mund stecken – geht nun natürlich gar nicht. Gleichzeitig werden wir diese Produktion nicht anders spielen – das ist ihr Wesen. Es ist eine Herzensgeschichte, das kann nicht adaptiert werden. Ich weiß nicht, ob ich das jemals wieder spielen werde. Ich glaube, es wird die Zeit kommen, wo genau sowas wieder gesucht wird, aber das wird noch Jahre dauern. Ich weiß nicht, ob ich da noch Stelzen gehen kann. Ich bin jetzt schon ein Dinosaurier in dem Gewerbe.

Inwiefern ist für dich ganz persönlich Humor Lebensbewältigung. Die Corona-Krise hat dein Leben ja massiv verändert…

Ich habe Jahre gebraucht, um festzustellen, dass das, was ich tue, der Clown ist. Clown zu sein ist für mich die wunderschönste und beste Lebenshaltung, die es gibt. Nämlich der Umgang mit Fehlern und Ungenügend sein und aus der Reihe zu fallen, der Umgang mit Unsicherheit, … Clown sein hat nichts mit Rote Nase zu tun, das ist eine Haltung. Clown zu sein heißt für mich, ich bin nach außen gerichtet, ich bin empathisch, ich nehme teil, ich bin mir meiner Unzulänglichkeit und meines Nicht-Perfekt-Seins bewusst und stehe dazu. Ich kann über mich selbst lachen. Ich nehme meinen Schaß als Schaß – und ich spiele damit. Wo beginnt man beim Spielen zu lachen? Dann, wenn Fehler passieren, wenn du stolperst – die anderen lachen, wunderbar, lache auch selbst darüber. Perfektionisten sind nach zehn Minuten fad. Es gibt Dinge, die kannst du nicht verändern. Clown zu sein ist hinfallen, lachen, aufstehen, weitergehen, hinfallen, aufstehen, weitergehen, Richtung wechseln … 

Sicherheitsdenken ist mir fremd. Als Clown, beim Spielen, begrüße ich Situationen, wo ich mich nicht auskenne, liebe ich die Improvisation, das sind die spannenden Momente des Lebens. Wir bilden uns nur ein, genau zu wissen – gerade auch, was Corona betrifft – aber das geht nicht, im Nachhinein wird die Überraschung dann umso größer sein. Das ist die Philosophie des Clowns: Denken mit Humor und Empathie, Vertrauen und mit dem Wissen, wir sind alle vergänglich. Humor ist für mich persönlich eine der wichtigsten Eigenschaften im Leben – neben der Empathie. Über das Unmögliche lachen, das Unmögliche glauben.

Wir leben auch in einer Zeit, in der es uns sehr gut geht. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen so viele Möglichkeiten haben. Sogar die armen Menschen haben einen größeren Luxus als der Sonnenkönig Ludwig der XIV.: Medizinische Versorgung, Heizung, Warmwasser, Klo, das hat der alles nicht gehabt. Er hatte vielleicht einen Hermelinmantel, aber den brauchte er auch, weil er keine Heizung hatte, … 

Ich habe auch geniale Menschen um mich. Einmal hatte ich in der Schweiz zu Silvester einen Bandscheibenvorfall, das war sehr schmerzhaft. Auf dem Heimweg bei der Raststation konnte ich mich dann plötzlich gar nicht mehr bewegen und meine Freunde sind vor Lachen am Boden gelegen. Sie haben mich nur auf der Schaufel gehabt und dann nach Hause gebracht und ins Bett getragen – und das war in der Situation das Beste, was mir passieren konnte. Mir hat auch das Lachen weh getan, aber es hat sowieso weh getan und das war der beste Schmerz. Es war so viel leichter, weil meine Freunde mit mir gelacht haben.