Druck von überall – Bestimmungsshit

Warum ein Interview mit EsRap? Sie machen super Rapmusik. Sie sind ein Geschwister-Duo, auf der Bühne in einer „noch immer“ unüblichen Rollenaufteilung, vor allem für Rapmusik, die oft sehr männerdominiert ist. Sie rappen über das Leben und aus der Sicht der zweiten Generation von Migranten. Sie leben mit Türkisch und Deutsch als Fremdsprache! Ihr Leben lang! 

Interview von Johanna Kienzl mit Esra und Enes Özmen aka EsRap.

Bitte hören Sie sich am besten vorab ein paar Nummern an! Erst mit der Musik im Ohr werden Sie richtig in dieses Gespräch, in die Fremdsprachen und den Kulturmix eintauchen (www.tschuschistan.at). Ihre neue Single „Yalla Habibi“ ist seit 22.Mai 2020 veröffentlicht. 

Die letzten 8 Wochen mussten wir alle mehr oder weniger zu Hause sitzen, um die Ausbreitung des Sars-CoV-2 Virus so gering wie möglich zu halten. Es war ein hin und her, ob wir das Interview per Skype/Zoom etc. machen sollten oder es verschieben, bis wir uns treffen können. Wir haben uns für ein persönliches Treffen entschieden, und Mitte Mai war es endlich so weit. Die Maßnahmen der Bundesregierung wurden gelockert, und so freu ich mich auf das Treffen!
Ich genieße Wien bei Wind und nur 14 Grad. Es ist 15 Uhr, wir (die Fotografin Andrea Klem und ich) sitzen im Yppenpark am Yppenplatz und warten auf das Geschwisterduo Esra und Enes von EsRap. Um uns herum ein fröhliches Stimmengemisch aus unterschiedlichsten Sprachen. Zwischen etwas Großstadtgrün sitzen auf verschiedensten Bänken, Liegen und Flächen Menschen in kleinen Gruppen, vom Kleinkind bis zu älteren Frauen und Männern, und unterhalten sich, spielen, trinken Kaffee oder schauen vor sich hin.
Menschen, die in erster, zweiter, dritter Generation von Familien aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Tschechien, Polen, Rumänien und vielen anderen Teilen der Welt abstammen.

Ich frage mich, ob unsere RegierungspolitikerInnen auch an diese Menschen hier denken, wenn sie in den letzten Tagen und Wochen der Coronakrise von „ÖsterreicherInnen“ sprechen und sich bei ihnen bedanken? Dass sich all diese verschiedenen Menschen hier dabei mit angesprochen fühlen, wage ich zu bezweifeln, obwohl mit Sicherheit sehr viele in den sogenannten „systemrelevanten Berufen“ arbeiten.

Sie sind es auch, die Kunst und Kultur in Österreich produzieren! Und Kunst generell halte ich für enorm systemrelevant.
Was hätten wir in den letzten Wochen gehört, gelesen, angeschaut etc., wenn wir keine KünstlerInnen mit ihrer jeweiligen Kunst hätten?
Und dann kommen die beiden über den Platz auf uns zu.
Sie werden sofort erkannt, begrüßt, und ein junger Mann will Esra vorspielen, was er in den letzten Wochen an Musik produziert hat. Er zückt sein Handy, sie hört ihm zu und hört sich seine Musik an. Esra und Enes sind hier bekannt. Jeder weiß, wer sie sind!
Wir setzen uns und schalten das Diktiergerät ein, als noch schnell jemand „buongiorno“-lachend an uns vorbei geht. So ist es hier- voller Fremd-Sprachen!

Hallo! Könnt ihr euch bitte in eigenen Worten vorstellen?

Enes: Wir sind EsRap, wir heißen Esra und Enes Özmen, wir sind Geschwister, Esra ist 3 Jahre älter als ich. Wir sind in Ottakring aufgewachsen und geboren, unsere Eltern sind in den 70iger Jahren aus der Türkei nach Wien gekommen. Seit 10 Jahren machen wir Rap-Musik auf Türkisch und Deutsch. 

Wie wichtig ist die Sprache in und für eure Musik?

Esra: Die Sprache ist das Wichtigste im Leben. Es macht aus, wie man redet, was für eine Melodie man hat, wie man drauf ist. Unser Prophet hat gesagt, wenn du eine Sprache sprichst, bist du ein Mensch – wenn du zwei sprichst, bist du zwei.
Z.b.: im Türkischen tu ich mich leichter mit Gefühlen, weil Türkisch ist eine metaphernvolle Sprache, wenn man leidet sagt man „ein Feuer brennt in mir drinnen“. Deutsch ist eine faktenvolle Sprache, die passt gut zur Politik, so „zakzakzak“. Wenn man mit beiden aufwächst, hat man ein Gespür dafür. 

Welche Sprachen spielen eine Rolle bei euch im Leben? 

Enes: Seit 2 Jahren, seit ich verheiratet bin, 6 Sprachen! Meine Frau ist halb Ägypterin und halb Ungarin. Wenn meine Frau ungarisch redet ist sie sehr lieb. So spricht sie mit Kindern und Tieren immer auf Ungarisch. Schimpfen tut sie auf Arabisch. Auf Türkisch ist sie sehr sexy, auf Deutsch klingt sie ernster. 

Esra: Sie spricht alle 6 Sprachen und mittlerweile richtig gut Türkisch! Bei mir sind es hauptsächlich Deutsch und Türkisch. 

Ihr seid in Wien geboren. Wie seid ihr aufgewachsen? Wenn ihr Deutsch singt und rapt, hört man, woher ihr kommt. Ist das so gewollt? >>

Enes: Ich bin in Wien geboren, aber türkisch aufgewachsen. Wir sind als Tschuschen aufgewachsen. Nur türkische Nachbarn, nur türkische Freunde, nur türkisches Fernsehen, weißt du – so. Ich bin stolz, wenn man in der Melodie hört, dass ich ein Migrant bin! Ist ok so, das will ich gar nicht ändern. Ich würd gar nicht wie ein Österreicher rappen wollen, weil ich bin keiner, ich bin ein Tschusch. 

Esra: Es geht nicht anders. Sprachen haben Melodien und die erste Melodie nimmt man überall hin mit.  Wienerisch ist mir sehr sympathisch. Das saubere Deutsch sagt mir gar nichts, ist mir bis heute fremd! Was geht, ist „oarg, schwer Wienerisch“ – das saubere Deutsch, können wir nicht einmal. Das Wienerlied, das ist authentisch. 

Und schon singen die beiden lautstark ein Lied von Helmut Qualtinger:

Wean du bist, a Taschenfeitl, unterm Himmel voll Schädlweh, a 10x kochtes Buanheidl, auf des i ned haas bin und trotzdem steh, du bist a Feiersalamander, auf ana Gstetten aus Marzipan, du gibst kaan halt und host kaa Glander; mechst gern an jeden owezahn.

Bei eurer Musik ist es oft so, dass Esra mit deutschem Sprechgesang hart reinfährt und du, Enes, mit türkischer Arabesque, sehr melodisch singst. Ist es so gewachsen, weil die Sprachen einfach so sind für euch, oder ist es ein Konzept? Vielleicht beides?

Esra: Eigentlich war es von dem Input her immer klar. Wir haben einfach begonnen! Dann wurde ich politisch und wollte, dass man mich versteht. Ich will hier die Leute ansprechen!

Arabesque ist nicht so politisch, oder „anders politisch“. Arabesque ladet dich ein, dass du dein Leid, deinen Schmerz erkennst, damit du weißt, dass du leidest, aber es ist nicht so – „steh auf…“. Eher so, „wir leiden und jetzt trinken wir“. Deswegen war Enes mit arabesquen Texten und ich wollte was Politisches. 
Dann haben die Medien über uns geschrieben „Rap-Duo schafft einen Rollentausch“. Wir haben uns gedacht: „Aha, das machen wir? ok?“. Mit 20 war ich dann schon so „ja, hiphop war immer so und jetzt soll mal Enes nach hinten und ich nach vorne“, aber es war nicht geplant, ist so entstanden. Ich mach was ich gut kann und er was er gut kann. 

Enes: Nicht alles, aber meistens singe ich Türkisch. Ich bin nur mit türkischer Musik aufgewachsen. Ich hör jetzt mittlerweile auch Deutsch-Rap, aber Arabesque viel mehr natürlich. Wenn ich singe, ist es automatisch. Ich träume auch Türkisch und so singe ich auch! Manchmal ist es auch spannend, auf Deutsch zu singen mit türkischer Melodie. 

Ich finde eure Performance stark, wie kraftvoll Esra da reingeht und mit welcher Sanftheit Enes sich behauptet. Wie bewusst setzt ihr eigentlich die Köpersprache ein? 

Esra: Pur ist authentisch. Da ist null was gespielt! Enes könnte nicht! Dass ist lustig – unter Freunden ist er der Lustigere. Ich hab meine Leute, wo ich aufblüh, aber sonst bin ich da etwas gechillter. Enes ist jemand, der unterhalten kann! Auf der Bühne aber, da bin ich das, die mehr redet!
Es ist so wie es ist.

Enes: Wir haben sehr viele Auftritte gehabt. Immer unser Bestes gegeben und es war ein super Training!

Ab wann hat Deutsch eine Rolle in eurem Leben gespielt? 

Esra: Erstes Deutsch oha, war in der Volksschule, davor nur Türkisch. Dann 4 Jahre und ein bissl Schüchternheit, mehr oder weniger nix geredet, dann übersetzt und dann in eine Hauptschulklasse mit 14 Türken. Und dann erst im Gymnasium! Plötzlich reden alle nur Deutsch.
Es gibt hier einen Unterschied. In Deutschland kann die zweite Generation sehr gut Deutsch dafür sehr schlecht Türkisch. Wir sind weder noch so gut in Deutsch noch in Türkisch.
Wenn ich über wissenschaftliche Sachen spreche, dann nehm ich die deutsche Sprache. Da kann ich gut reden. Wir haben ja aber auch niemals eine Stunde Türkisch-Unterricht besucht. 

Was hättet ihr euch von der Schule gewünscht? 

Esra: Spaß! Und nicht diese Angst. Vor allem als Migrant, mit 9 haben sie mir die Frage gestellt: „Wie stellst du dir deine Zukunft vor?“ Und ich hab mir gedacht, dass ich im Keller leben werde. Die Schule war „Angst“ und die Zukunft „wird Scheiße sein“.

Positive Sachen motivieren mehr. Angst macht kurz was, aber dann lässt man es. Wenn ich sag: „Enes, es wird urgeil!“, ist er viel mehr motiviert, als wenn ich sag „benimm dich, tausend Leute sind dort.“ Mehr über Positives erzählen. Es gibt die Möglichkeit zu studieren, aber Lehre ist auch nicht der Untergrund. 

Enes: Man hat in der Schule nie über Berufsmöglichkeiten geredet. Man sollte mehr tolerant sein! Ich war ein Schüler, in Deutsch, Englisch und Mathematik waren meine Schwächen, aber ich war in anderen Fächern gut und in der Kommunikation mit anderen, das waren meine Talente. Vielleicht sollte man mehr auf das schauen, was wer kann. Ich bin 3 x sitzengeblieben wegen Deutsch.  Aber du kannst auch Rapper sein, ohne singen zu können. Die treten dann heut halt mit AutoTune auf.
Es ist kein Drama, wenn man was nicht kann – man kann sich helfen! 

Du hast auf der Universität Bildende Kunst studiert! Was machst du gerade?

Esra: Ich schreib meine Dissertation über Hiphop in Österreich. Ich hab das erste Rap-Diplom. Am akademischen Weg reflektiere ich schon, was wir so machen, ich nehm es zu meinem Werkzeug. Man kann so viel machen. Die Gesellschaft ist so. Ich werde immer viel ernster genommen, wegen der Matura und Studium, aber Enes hat nicht weniger Fähigkeiten als ich. Wir stehen gleich auf der Bühne. 

Wie geht es euch als KünstlerInnen? Wie gings euch die letzten Wochen, was sind eure nächsten Schritte? 

Esra: Langsam, langsam. Man hat alles so schnell gemacht. Im September wollen sie alles aufholen, Donauinselfest, Popfest etc. Ich bekomm seit 3 Monaten gar nichts mehr, aber Gott sei Dank krieg ich vom Popfest fürs Kuratieren Geld.
Ich pass immer auf, dass ich nicht in die Opferrolle komm. Wir sind hier geboren und aufgewachsen. Viel Sensibilität brauch ich nicht, weil ich mich hier eh cool fühle. Aber das S. Kurz bei jedem Gespräch „liebe Österreicher und ÖsterreicherInnen“ sagt, da hab ich mir gedacht, ich werde jetzt mal alle meine Tschuschen rausbitten.

Enes: Ich hab die ganze Zeit gearbeitet, im Auto, quer durch Wien. Und ich hab nur Österreicher laufen und sporteln gesehen. Wir Tschuschen waren arbeiten oder zu Hause. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Tesekkür ederim!