Zeit für Utopien

Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Autor und Dokumentarfilmer Kurt Langbein in seinen Arbeiten mit der Ausbeutung von Mensch und Natur. Nach seinem letzten Film „Landraub“, der die grellsten Auswüchse des modernen Kapitalismus beleuchtet, stellt er diesem mit seinem neuesten Film „Zeit für Utopien“ Beispiele von erprobten Alternativen gegenüber, gelingende Projekte einer solidarischen, am Gemeinwohl und an der Nachhaltigkeit orientierten Produktions- und Lebensweise. Der Film rückt Menschen in den Fokus, „die nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein wollen“, wie eine Protagonistin zu Beginn des Film treffend bemerkt. Rainer Wisiak traf den Filmemacher in seinem Filmstudio in Wien und hat ihn nach seinen Gründen dafür, diesen inspirierenden und Mut machenden Film zu drehen, befragt. 

Herr Langbein, wenn man sich mit dem Thema „Utopien“ beschäftigt, kommt man, obwohl er vor über 500 Jahren geschrieben wurde, an Thomas Morus´ wegweisenden Gesellschaftsentwurf „Utopia“ nicht vorbei. Hatten Sie das Buch im Zuge ihrer Recherchen auch in den Händen?

Ja, natürlich, in der Frühphase der Vorbereitung zum Film habe ich es auch in den Händen gehabt. Es ist ja ein bemerkenswert gültiger Versuch einer sozialen und kulturellen Utopie und eine feinsinnige Analyse darüber, was Geld und Eigentum mit Menschen machen. Und wie immer, wenn man so ein Gedankengebäude fertig baut, hat es natürlich auch die einen oder anderen Ecken oder Kanten, wo man sich denkt: Na ja, bezüglich der dort beschriebenen Sanktionen und Strafen wäre schon ein anderer Weg auch möglich – aber vor 500 Jahren waren das halt ganz andere Gegebenheiten.

Genau, in den Kontext der damaligen Zeit gestellt war die Schrift zukunftsweisend und hat Generationen von späteren   >> 

„Utopisten“ nachhaltig geprägt. Der Historiker Karl Kautsky meinte sogar, „mit der Utopie von Morus beginnt der moderne Sozialismus.“ Das Gegenteil einer Utopie wird, wenn es um negative Auswirkungen auf die Gesellschaft geht, Dystopie genannt. Viele Utopien beginnen ja recht positiv, enden dann aber ganz anders … 

Ja – durchaus dystop (lacht) … der sogenannte „Reale Sozialismus“ ist ja zum Beispiel diesen Weg gegangen.

Der Entwurf und die spätere Realisierung des Dritten Reiches hingegen war eine Dystopie von Anbeginn … 

Ja, denn ich möchte bei der Definition bleiben: Eine Utopie ist der Entwurf, die Idee einer besseren Welt für alle Menschen. Das heißt aber auch, dass die Differenzierung zwischen Über- und Untermenschen schon von vornherein keine Utopie mehr ist, sondern das Gegenteil, weil das eine Ausgrenzung bis hin zur Zerstörung von Millionen mit sich bringt, wie wir es ja erleben mussten.

Ich habe das erwähnt, weil die Dystopie des Dritten Reiches ja stark in Ihre Familiengeschichte mit reingespielt hat …

… sehr massiv sogar!

Ihr Vater hat die Konzentrationslager Dachau, Auschwitz und Neuengamme erlebt und – zum Glück – überlebt. War der Grund für seine Inhaftierung seine politische Gesinnung?

Zum einen war mein Vater nach den Nürnberger Rassengesetzen ein Halbjude, gefangen genommen wurde er aber als politischer Häftling – und das blieb er auch, was ihm dann auch wesentlich mehr Möglichkeiten geschaffen hat, den Widerstand in Auschwitz mit zu organisieren. Für mich ist das ein sehr bewegendes Element, weil es mir bis heute ein wenig ein Rätsel geblieben ist, wie man unter diesen denkbar wahnwitzigsten Bedingungen immer noch stark genug sein kann, um nicht primär das eigene Überleben im Sinn zu haben, sondern die Hilfe für die anderen und den Widerstand. Im kommenden Jahr möchte ich ein Kinofilmprojekt realisieren, das genau dieses Thema zum Inhalt hat.

Ihre bisherigen Arbeiten – ich denke da nur an den Film „Landraub“ oder Bücher wie „Das Medizinkartell“ oder „Verschlusssache Medizin“ – weisen meist auf sehr negative, wenn nicht gar beängstigende Tendenzen in unserer gesellschaftlichen Entwicklung hin. Da erscheint einem der Film „Zeit für Utopien“ wie ein positiver Gegenentwurf dazu. Was waren Ihre Beweggründe dafür?

Wenn ich ein bisschen zurückschaue, dann habe ich mich am Beginn meiner publizistischen Laufbahn vor allem mit totalitären Institutionen auseinandergesetzt, mit solchen, wo sozusagen der Mensch des Menschen Feind wird, weil er eben meint, ihn ausrichten, erziehen oder umzuerziehen zu müssen. Das waren Kinderheime, wo ich schon in den 1980er-Jahren über Missstände berichtet habe, das waren Gefängnisse und Psychiatrien. Da bin ich, glaube ich, ein bisschen in der Kontinuität meines Vaters geblieben und habe dort hingeschaut, wo sonst niemand hinschaut, wo aber die Menschenrechte am brutalsten missachtet werden.

Später habe ich mich dann hauptsächlich mit der Pharma-Industrie und den Auswirkungen unseres Wirtschaftssystems auf die Menschen beschäftigt – zuletzt eben mit unserer unsäglichen imperialen Lebensweise, wo jetzt unsere Finanzinstitutionen den Menschen im globalen Süden buchstäblich den Boden unter den Füßen wegrauben.

Da gab es dann auf Veranstaltungen oder beispielsweise bei Publikumsdiskussionen nach dem Film „Landraub“ im Kino sehr viele Diskussionen darüber – und spätestens nach einer halben Stunde waren eigentlich immer die Fragen da: Ja, aber geht es überhaupt anders? Gibt es überhaupt die Möglichkeit, die Welt ohne Agrarindustrie zu ernähren? Können wir die anderen Wege der Kleinstrukturen überhaupt gehen oder würde das nicht zu noch mehr Hunger in der Welt führen?

Und je mehr mir klar wurde, dass es solche Beispiele schon gibt und diese auch funktionieren, desto stärker wurde dann das Bedürfnis – eben ausgehend zunächst von der Landwirtschaft – zu zeigen, wie es geht. So habe ich nach diesen konkret gelebten Utopien – wenn man das so sagen darf – zu suchen begonnen, Projekte, die heute schon zeigen, dass die Welt von morgen machbar ist … nicht nur wünschenswert, sondern auch machbar ist! Das habe ich dann schrittweise auf die wesentlichen Formen des Lebens und Zusammenlebens und des Wirtschaftens erweitert – eben überwiegend auf genossenschaftliche Art, weil mir das als eine der vernünftigsten und auch erprobtesten Formen des gemeinschaftlichen Wirtschaftens und Entscheidens erscheint.

In einem anderen Interview haben Sie gemeint, dass es so viele interessante Initiativen gab, die beispielgebend gewesen wären – Sie mussten aber eine Auswahl treffen. Wird es einen Film „Zeit für Utopien 2“ geben oder ist dieses Thema für Sie so erst einmal abgeschlossen?

Das Thema ist für mich gar nicht abgeschlossen! Ich habe noch nie ein so positives Jahr erlebt wie das Jahr der Produktion dieses Filmes, weil ich immer mit Menschen zu tun hatte, die nicht nur die Schattenseiten dieser Welt kennengelernt haben und darüber Beschwerde führen, sondern die konkret – und JETZT – anders handeln. Und diese Menschen haben eine unglaubliche Kraft – auch wenn es um Niederlagen oder um Gefährdungen geht, die ihnen natürlich nicht erspart bleiben. Sie haben eine so positive und leuchtende Strahlkraft, die auch mir selber Mut gemacht hat, vielleicht das eine oder andere in diese Richtung zu tun.

Ich würde zum Beispiel gerne daran mitarbeiten, dass eine so große Lebensmittel-Konsumenten- und Lebensmittel-Produzenten-Genossenschaft wie „Hansalim“ in Südkorea mit 1,5 Millionen Mitgliedern auch in Österreich entsteht. Warum nicht? Wenn es in Südkorea geht, könnten wir das doch auch tun. Also ich würde da ganz gerne auch aus meiner Rolle des Publizisten heraustreten und einfach konkret mit Hand anlegen. 

Und es ist auch so, dass ich in diesem Bereich der konkreten, verwirklichbaren oder schon verwirklichten Utopien weitere Filme realisieren möchte. Das tue ich zum Teil ja schon, denn ein nächstes anderes großes Filmprojekt heißt „Was wir morgen essen“ und behandelt den Bereich der Lebensmittel – wie dort eine Umstrukturierung stattfinden könnte, damit wir nicht, was derzeit der Fall ist, den Menschen im globalen Süden das Essen vom Teller wegessen. Das tun wir nämlich heute. >>

Wieder ein kritisch-beängstigender Film wie Erwin Wagenhofers „We Feed the World“?

Nein, es wird um konkrete Alternativen gehen und wie diese funktionieren.

Oft lassen kritische Dokumentationen – bei all ihrer Berechtigung – das Filmpublikum ja eher ohnmächtig zurück, im Sinne von: Was führende Agrar-, Pharma- oder IT-Konzerne mit ihren Heerscharen von Lobbyisten mit Regierungen – die nur die Wirtschaftsleistung des Landes im Auge haben – aushandeln, entzieht sich meiner Kontrolle und jetzt habe ich halt eine weitere Bestätigung dafür, aber diese zerstörerischen Kräfte sind eben leider sehr stark und nicht oder kaum veränderbar …

Das ist ja, finde ich, gerade die so klare Botschaft des Filmes „Zeit für Utopien“: dass es tatsächlich möglich ist, in allen gesellschaftlichen Bereichen Organisationsformen zu finden, die die Umwelt nicht kaputt machen, die die Menschen nicht kaputt machen und die von Achtung und Respekt getragen sind – und dass eigentlich jeder Hand anlegen kann, dass jeder einen Schritt setzen kann, dass man nur an(zu)fangen braucht, so wie manche Initiativen in dem Film, die vor ein paar Jahren aus dem Nichts begonnen haben … und ja, dass man sogar gegen Konzerne ankommen kann, wie jenes Beispiel im Film aufzeigt, wo es in Südfrankreich der Belegschaft eines Weltkonzernes gelungen ist, die Schließung einer Produktionsstätte nicht nur zu verhindern, sondern diese sogar dem Konzern abzuringen und nun in Form einer Genossenschaft in Selbstverwaltung weiterzuführen. Ein Beispiel nur, das Handlungsoptionen weit jenseits dessen aufzeigt, was unsereins quasi für machbar hält – und eigentlich Mut macht. 

Man sieht nun vermehrt Filme dieser Art, Filme, die Mut machen, wie beispielsweise Teresa Distelbergers Film „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ oder „Tomorrow“ von Cyril Dion und Mélanie Laurent.

Natürlich, denn die Sehnsucht nach konkreten Alternativen und nach konkreten Handlungsmöglichkeiten ist groß – und sie wird wachsen. Auf der einen Seite stehen wir vor einer ziemlich fundamentalen Verunsicherung, denn wir merken: so kann es nicht weitergehen! Wir verbrauchen heute die Ressourcen der Welt im doppelten Maße! Wir haben aber nur eine Welt … es gibt ja verschiedene Berechnungen, fest steht: wir haben im Mai oder eben Juni die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen für dieses Jahr aufgebraucht – und danach schädigen wir die Zukunft. Das ist mittlerweile, glaube ich, relativ weit durchgesickert.

Zum anderen merken wir, dass sich mit der Digitalisierung und all ihren Begleiterscheinungen die gesamte Wirtschaft ja noch einmal komplett umwandeln wird – und dadurch entsteht natürlich eine große Verunsicherung und Zukunftsangst. Mit der kann man, wenn man ein Demagoge ist, wunderbar Klavier spielen – das erleben wir ja jetzt gerade in den politischen Entwicklungen rundherum: Es werden wieder Feindbilder gesucht, die an allem schuld sind, es wird wieder zwischen In-Group und Out-Group unterschieden … das hat vor 80 Jahren alles recht ähnlich begonnen und wir sind gut beraten, uns der Zukunftsbilder zu besinnen, die zeigen, dass es aber auch noch andere Auswege aus diesem Dilemma und aus den realen Gefährdungen gibt. Wir können wirtschaften, ohne die Ressourcen in diesem Ausmaß zu plündern und wir können in die Postwachstums-Gesellschaft hinüberwachsen. Dieser Weg ist dringend nötig. Er ist zwar noch nicht bis ins Detail vorgezeichnet, wir müssen uns aber intensiv damit beschäftigen.

In „Zeit für Utopien“ sagt der Nachhaltigkeits-Forscher Niko Paech: „Nachhaltige Entwicklung bedeutet mehr, als Bio-Produkte zu kaufen.“ Worin sehen Sie die dringendsten und notwendigsten Aufgaben unserer Zeit? Not-wendig wirklich im wörtlichen Sinne von die vorhersehbare Not (noch) zu wenden … 

Ich glaube, dass wir uns insgesamt von einer Habens-Gesellschaft hin zu einer Seins-Gesellschaft entwickeln sollten und dass wir das auch können. Wir müssen unseren Konsumwahn zurückschrauben, unser Konsumverhalten verändern. Wir sind in der Lage – das wird ja im Film auch mit dem Wohnprojekt in Zürich gezeigt – unser Wohnen so zu gestalten, dass wir tatsächlich nur noch ungefähr ein Viertel (!) der Energie für Wohnen verbrauchen. Und dorthin müssen wir alle, damit sich der Treibhaus-Effekt nicht katastrophal weiterentwickelt. Und das geht – siehe Beispiel Zürich – ohne wirklichen Komfortverlust!

Natürlich verzichtet man auf einzelne Sachen und natürlich kann nicht alles genau so weitergehen wie bisher – sonst wäre ja keine Veränderung da. Aber wir müssen auch nicht zu neuen Mönchen werden und alles, was uns lieb ist, beiseite legen. Wir müssen es nur anders bewerten …

Und nebenbei: Ich glaube, diese Orientierung am Konsum macht – das zeigen ja auch viele Studien – nicht wirklich glücklich. Menschen, die es jetzt schon schaffen, sich mehr zum Sein im Erich Fromm´schen Sinn hinzuwenden, statt dem Haben nachzulaufen, denen geht es ja auch gut. Das habe ich auch in den Arbeiten am Film erlebt: Diese Menschen haben nicht nur eine beachtliche Kraft, die einem Freude macht und Respekt abnötigt, sondern die leben auch gut, die haben es schöner (lacht) … ja, die haben es SCHÖNER! Und wenn man das weiß, ja, dann sollte man diese Botschaft verbreiten.

Wir haben also die Wahl – und ich habe meine Wahl getroffen. Und viele andere Gottseidank auch schon. Nun müssen diese Menschen, die die Wahl getroffen haben und einen anderen, weniger zerstörerischen Weg gehen, kräftiger und lautstarker werden gegen die Industrie-, Agrar- und Chemie-Lobby, die im Wesentlichen immer noch die Politik mitgestaltet. Das ist das, was jetzt “Not-wendig” ist neben einem Angehen gegen rechtspopulistische und rassistische Entwicklungen, die einfach auch eine Ablenkung der Angstempfindungen der Bevölkerung bewirken sollen.

Also: Wir stehen vor der Weichenstellung und wir sind gut beraten, wenn jeder von uns selbst aktiv wird und dafür sorgt, dass wir eine Perspektive haben.

Die erste Protagonistin in Ihrem Film sagt: „Ich möchte nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein!“

… sondern Teil der Lösung sein …  ja, ich finde, das ist im Film DER Schlüsselsatz! Er zeigt auf, was nötig ist – und dass es möglich ist. Und natürlich sind wir alle Teil des Problems – aber es liegt an uns, in einem zumindest überwiegenden Ausmaß zum Teil der Lösung zu werden.

Selbst aktiv zu werden und selbstbestimmt zu handeln – das setzt meines Erachtens voraus, dass ich Selbstbestimmtheit ein Stück weit leben wie auch erfahren durfte. Unser öffentliches  Schulsystem bereitet nicht gerade darauf vor …   

Nun, die vorsintflutliche Art und Weise, wie derzeit jungen Menschen sozusagen Wissen oder auch Disziplin vermittelt wird, ist diesbezüglich natürlich kontraproduktiv.

Ich erwähne das Thema „Bildung“, weil Sie über viele Jahre hinweg als Vater Teil einer elternverwalteten Kindergruppe und Co-Autor vom „Kursbuch Kinder“ waren – also durchaus immer wieder sehr in die Thematik Bildung involviert. Beschäftigt Sie dieses Thema noch?

Da ich bald Großvater werde, wird es mich wieder beschäftigen (lacht) … im Ernst: Natürlich beschäftigt es mich immer noch. 

Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich in einer ähnlichen Schule, wie auch ich gegangen bin, gedreht. Das Schlimme für mich war, dass ich dann dort im Unterricht gesessen bin und gemerkt habe: Verglichen mit meiner Schulzeit hat sich fast nichts verändert! Und das halte ich für katastrophal … 

Zum anderen finde ich es entsetzlich, dass die Politik in den pädagogischen und didaktischen Ansätzen jetzt wieder 50 Jahre zurück geht, ohne überhaupt eine einigermaßen vernünftige Begründung dafür liefern zu können und zu müssen – außer, dass sie gerne wieder zu den alten Rohrstaberl-Methoden zurückkehren möchte. Das finde ich entsetzlich, denn der Schaden, der dadurch angerichtet wird, ist ausreichend dokumentiert! All das gehört auf den Müllplatz der Geschichte.

Ich glaube auch, dass wir im Bereich Bildung weit hinter dem zurück liegen, >> was insgesamt in der Gesellschaft schon möglich ist, das heißt: Unser Bildungssystem müsste zunächst einmal überhaupt zu den modernen Formen unseres Lebens geführt werden, um dann in einem nächsten Schritt sozusagen in Richtung einer Realisierung von Utopien gehen zu können. Da gibt es erfreulicherweise schon einige Initiativen, die diese Wege gehen, aber grundsätzlich verschärft unser Schulsystem die soziale Segregation und stiehlt ganz vielen Kindern die Chancen, die sie verdient hätten. Andere Schulsysteme in anderen Ländern zeigen, dass das gar nicht so sein muss, sondern dass es auch ganz anders geht. Und ich glaube, dass die Kinder auch eine Chance haben müssen, wieder sich selbst zu erproben und sich die Welt in konzentrischen Kreisen erobern zu können – und dass dafür ein Experimentierfeld frei werden und geschaffen werden muss.

In diesem Sinne müssen Schule und Bildung neu und ganz anders definiert werden: als Ort der Etablierung von Möglichkeiten, um dem natürlichen Lernwillen und der Neugier der Kinder sozusagen die Fenster zu öffnen, die sie brauchen, um lernen zu können. Im Moment ist es ja leider so, dass den Kindern die Freude am Lernen eher ausgetrieben wird.

Zum Stichwort „Utopien“ findet man natürlich zahlreiche Zitate. Ein sehr schönes von Oscar Wilde lautet: „Eine Landkarte der Erde, die nicht auch Utopia zeigt, ist keinen einzigen Blick wert, denn auf ihr fehlt jenes eine Land, an dem die Menschheit immer landet. Und wenn die Menschheit dort angelangt ist, blickt sie um sich, sieht ein noch schöneres Land und setzt wieder die Segel.“ Und wenn das „räumlich“ nicht mehr möglich ist, weil es auf unserer Erde keine „weißen Flecken“ mehr gibt, wo man ganz neu beginnen könnte … 

… dann müssen Utopien in der gesellschaftlichen Entwicklung umgesetzt werden. Und wir dürfen uns da auch nicht beirren und die Vorstellungen einer besseren, nachhaltigen und menschenfreundlichen Welt als bloße Utopie abtun lassen. Vor 150 Jahren war das allgemeine Wahlrecht eine Utopie und die Menschen, die darum gerungen und gekämpft haben, wurden als Phantasten hingestellt – aber sie haben sich durchgesetzt! 

Die Gleichberechtigung der Frauen – eh ein ähnliches Schicksal – die ist heute zumindest auf dem Papier verwirklicht. In der Realität gibt es da noch viel zu tun, aber das heißt: Viele von diesen Entwicklungen, die uns heute glücklicherweise schon ganz selbstverständlich erscheinen, waren vor 200 Jahren allenfalls Utopien. Insofern gibt es immer dieses neue Land, das es zu entdecken gilt und wohin die Reise führen sollte.

Im Sinne des Filmes hieße das also: Segel setzen Richtung Postwachstums-Gesellschaft!

Genau.

Vielen Dank für das Gespräch.

Gerne.