Wachsen und in Verbindung sein. Die beiden Grundmotivationen jeglichen Lebens durchdringen die Welt wie belebende Ströme. Seitdem ich mit dem Bewusstsein experimentiere, mich im Inneren eines großen Organismus namens Erde zu sehen und so Teilhaber einer vielschichtigen lebendigen Innenwelt zu sein, deren Dimensionen sich mit wachsender Wahrnehmung erschließen und erweitern, verändert sich mein Leben spürbar und wird zu einer unabsehbaren, hinreißenden und beglückenden Forschungsreise zu immer neuen Horizonten des Seins.
Forschergeist hat sich meiner bemächtigt und erfüllt davon nähere ich mich erwartungsfroh jeglichem Ausdruck des Lebens mit Fragen wie: Was möchtest du mir sagen? Wie kann ich deinem wahren Wesen näher kommen? Wie können wir miteinander austauschen? Was kann ich von dir lernen? Ein Beitrag von Folgert Duit.
Diese Begegnungen lassen mich staunen und sind immer wieder berührend. Sie verorten mich in einem dicht gewobenen Netzwerk miteinander und aneinander wachsender sowie aufeinander bezogener Wesen.
Auch der Begriff des Wesens hat sich verändert und es gibt da ein Suchen nach einer günstigen Form der Anrede. Denn wenn der Wind wesenhaft wird so wie auch der Blitz oder der strömende Fluss, wenn auch das Feuer so wahrgenommen und die Berührung der Erde aus dem sinnlichen Begreifen heraus zu einem “in Beziehung treten” wird, dann wird’s bunt rundum und wild und sogar der Schimmelpilz im Kühlschrank auf dem vergessenen Käse bringt mir ein Stück ungezügelter, doch ansprechbarer Natur in die Wohnung.
Aus dem über den Baum reden, über den Fluss oder über den Schimmelpilz reden wird vermehrt ein mit ihm reden. Das ist durchaus heiter, allerdings auch rundum sättigend, nährend und beziehungsstiftend.
Das, was sich da so spannend anlässt, hat mit einem für mich als einseitig intellektuell sozialisierten Erwachsenen noch etwas ungelenken, für Kinder sicherlich ganz natürlichen Blick zu tun. Ein Blick, der jegliches Da-sein in dem Bedürfnis zu wachsen und verbunden zu sein zu erkennen sucht.
Ich habe zwar immer noch die große Freiheit und Möglichkeit, diesen Zustand des Verbunden-Seins zu verlassen und mich auf den Posten des vermeintlich unbeteiligten und unabhängigen Beobachters zu begeben, doch hat diese Position zunehmend weniger Anreiz. Inzwischen assoziiere ich mit diesem Standpunkt eher den Beigeschmack von Abgeschnitten sein und Tod.
Es wächst die Überzeugung, als könnten wir unsere Qualitäten als Menschen nur dann entfalten, wenn wir andere Wesen in ihrem so-Sein erleben.
Die Berliner Künstlerin Pantea Lachin1 verwendet den Begriff „erweiterter Blick“, um die schöpferische Gegenseitigkeit der unabdingbaren Partnerschaft mit allen Geschöpfen zu beschreiben. Dieser erweiterte Blick beruht auf der Einsicht, dass Existieren immer voraussetzt, wahrgenommen zu werden. Das Selbst und das Andere existieren durch Einander in einer sich wechselseitig einschließenden Weise2.
Mein Forschen geht von der Annahme aus, dass es Dimensionen – oder vielleicht besser Felder der gegenseitigen Wahrnehmung gibt, wo jeder Ausdruck des Lebens, jedes Wesen, jedes Element ansprechbar wird und mein Leben im hier und jetzt berührt wie auch ich es berühre.
Was aber geschieht, wenn ich mich einlasse auf die Beziehungen, wenn ich mich öffne für die Erfahrungen anderer Lebewesen, anderer Lebenswelten?
Tritt die innere Weisheit zu Tage, dann kommt sie ja möglicherweise aus einem unteilbaren Ganzen in uns. Vielleicht aus dem, was wir Geist nennen? Und diese Quelle ist wohl eine, die nicht durch Denken oder Intellekt berührt werden kann. Ist diese Quelle auch jene, in der wir mit allen Wesen verbunden sind und somit alle ebendort auch in ihrem Wesen wahrnehmend erkennen können? Hierzu ein kleines Erlebnis aus einem eigensprachlichen Interview:
Das Gespräch mit einer Seminarteilnehmerin beginnt in einem Gebäude mit großen halligen Gängen, Ziegel und Betonwänden links und rechts. Das Gespräch kreist um das berufliche Fortkommen und in der Beschreibung der Situation, die gerade stagniert, tauchen Wände aus Ziegelsteinen auf, die abgerissen werden sollten, damit etwas weitergehen kann. Die umgeworfene Ziegelwand, die eine Weile vielleicht geschützt hat, wird im Gespräch umgebaut. Die Ziegel dienen jetzt als Trittsteine. Bei der Beschreibung des Trittsteine-Legens bückt sich Frau R. und imitiert die Tätigkeit. Ich bemerke, dass das recht anstrengend ausschaut, sie bestätigt das. Ich lade sie ein, in den Garten hinaus zu gehen. Sie ist einverstanden und wir setzten unser Gespräch über das Trittsteine-Legen im Freien fort. Die Unterhaltung kommt ins Stocken. Im Garten spazieren wir an einem Kirschbaum vorüber. Eine Amsel beginnt zu singen. Vor den Büschen liegen viele Kirschkerne. Einige Kirschbäumchen sind aufgegangen. Frau R. bemerkt die Bäumchen und fragt nach, wie das wohl geschieht, dass da überall Bäumchen wachsen können. Die Amsel singt weiter. Plötzlich hellt sich Frau R`s Gesicht auf und sie sagt: Ich könnte es ja so machen wie die Vögel und einfach die Kirschkerne irgendwo fallen lassen und dann werden die Bäumchen schon wachsen. Sie versinkt in Nachdenken. Ich frage sie noch, ob es gut ist, es hierbei zu lassen. Das Gespräch ist beendet.
Was verändert sich in dem Verwoben-Sein mit der Natur? Es gelingt nicht mehr so nebenbei, eine Fliege totzuschlagen oder eine Spinne aus ihrem Netz in der Raum-Ecke mit dem Staubsauger wegzusaugen. Anstelle des reflexhaften Entfernens von Lebewesen, die als störend und unberechtigt anwesend wahrgenommen wurden, werden zunehmend Teilhaberinnen eines umfassenden Lebensgeflechtes, in dem ich selbst nur ein kleines, allerdings wirkmächtiges Teilchen bin, in dem aber jedes andere ebenso wichtig und berechtigt ist. Wirkungsmächtig, weil ich so viel Macht und Möglichkeiten habe, die Welt zu gestalten, wie sie mir richtig vorkommt. Ich mache die Erfahrung, dass die erhöhte Achtsamkeit den mehr als menschlichen Wahrnehmungen3 gegenüber mich spürbar vernetzt und mein Leben zwar langsamer, aber auch reicher macht.
Daraus wächst ursächlich der Wunsch, ins Gespräch zu kommen, und die Vorstellung, sich beispielsweise von einem alten, erfahrenen Apfel, auf dem schon Pilze gedeihen und der von tiefen Furchen und schorfigen Flecken bedeckt ist, erzählen zu lassen, was er so alles in seinem Leben schon erlebt hat, erheitert und inspiriert mich. Der Apfel kann mich zu Tränen rühren, indem er Raum und Zeit bekommt, auf seine Weise von sich zu erzählen, indem er einfach da ist und ich auch einfach ganz da bin. Seine Geschichte wird zu einer Gabe, einem kostbaren Geschenk, das mich mit ihm verbindet und das meine Schöpferkraft, meine poetische Inspiration weckt und weitet.
Die Verbundenheit erfahre ich, indem die Bilder, die da auftauchen, von der Blüte des Apfels, von den bestäubenden Bienen und dem langsamen Wachsen, von der Trockenheit im Sommer und dem erfrischenden Regen danach, von dem Moment, in dem er sich von seinem Mutterbaum löste und der Geborgenheit seiner Samen in den fünf Kammern seines Bauches, indem diese Metaphern in mir sind und zum Klingen gebracht werden.
Was hindert es, zu erwägen, dass es unsere gemeinsamen Bilder sind, von unserem Wachsen und Reifen, von unseren Trennungen und Dürstungen, von unserer Erfüllung im Tod.
Welch reiche Perspektive und Motivation für weiteres Wachsen und Sensibilisieren der Wahrnehmung. Teil eines Ganzen zu sein.