Maja Peters trifft Ingrid Winterheller, Lotte Hechtl und Ulrike Tinhofer-Sonntag im herbstlichen Garten der Lernwerkstatt zum Interview. Sie erzählen uns, welche Rolle das Einkaufen, google und KI im Schulalltag spielen. Und wie sie es schaffen, bei Kindern die Freude am ganz individuellen Entdecken zu fördern.
Team-Talk – Ein Interview von Maja Peters
Maja Peters trifft Ingrid Winterheller, Lotte Hechtl und Ulrike Tinhofer-Sonntag im herbstlichen Garten der Lernwerkstatt zum Interview. Sie erzählen uns, welche Rolle das Einkaufen, google und KI im Schulalltag spielen. Und wie sie es schaffen, bei Kindern die Freude am ganz individuellen Entdecken zu fördern.
Maja Peters: Heute geht es um das Thema “in echt”. In der LWS lernen Kinder anhand von Operationen und Handlungen und dürfen echte Erfahrungen durch eigene Erlebnisse machen. Junge Menschen lernen ihre Umwelt hier mit allen Sinnen kennen und verstehen Vorgänge dadurch auf natürliche Art und Weise. Welche Beispiele gibt es aus eurem Schulalltag?
Ulrike Tinhofer-Sonntag: Das Thema in echt spricht mich sehr an, weil unsere Herangehensweise hier so ist, dass die Kinder im Leben und nicht vorbereitend für das Leben lernen sollen. Das heißt, sie lernen nicht, damit sie einkaufen und damit sie kochen können, sondern sie gehen einkaufen und kochen. Und indem sie einkaufen gehen, lernen sie auf den Verkehr zu achten, sie lernen, wo sie die Dinge im Supermarkt finden, sie lernen mit Geld hauszuhalten, das Wechselgeld zurückzubringen, den Kassenzettel zu bringen und sie lernen es ins Kassabuch einzutragen. Und wenn es ums Kochen geht, geht es um den kompletten Prozess und nicht isoliert darum, dass jemand etwas hergerichtet hat, ich schütte das zusammen, ich gebe das ins Rohr und jemand anderer holt es für mich wieder raus, sondern beginnend mit der Überlegung, was brauche ich überhaupt für Zutaten, sind diese Zutaten vorhanden, wenn sie nicht vorhanden sind, kann ich schauen, gibt es diese irgendwo in einer anderen Küche im Haus? Was muss ich einkaufen, welche Gerätschaften brauche ich, um die Sachen zuzubereiten, kann ich das Rezept lesen, muss ich mir Hilfe holen, wenn ich es noch nicht lesen kann? Dann muss ich natürlich auf die Zeit achten, damit der Kuchen nicht verbrennt, das Ganze aus dem Rohr herausholen, ohne mich selbst zu verbrennen. Was muss ich abwaschen, abtrocknen und wieder wegräumen? Es geht um diesen gesamten Prozess, das ist das Lernen in echt. Nicht Teilfähigkeiten, sondern was brauche ich von Anfang bis zum Schluss, damit es auch wirklich fertig ist.
Lotte Hechtl: Beim Beispiel des Kochens können die Kinder sich selbst entscheiden, was sie kochen möchten und werden kein vorgefertigtes Rezept vorgelegt bekommen. Sie überlegen sich vorher schon, zusammen mit ihren Freundinnen und Freunden, was sie heute Lust haben zu kochen, sodass hier die Eigenverantwortung eine ganz andere ist, weil sie das Essen zu einem Abschluss bringen und selbst essen möchten und dadurch aus ihrer intrinsischen Kraft heraus tätig werden. Die Kinder können in sich reinhören, möchte ich beispielsweise heute lieber etwas Süßes oder Salziges? Hinzu kommt der soziale Aspekt, sich in einer Gruppe sozial zu engagieren, indem ich schaue, wie könnte die Gruppe gut funktionieren, wer übernimmt welche Aufgaben. Es sind also verschiedene Kompetenzen, die während des Kochens erlernt werden.
Ingrid Winterheller: Das Thema in echt finde ich auch sehr cool. Die Kinder sind in echt da, genauso wie wir in echt da sind. In echt und authentisch. Gerade heute habe ich erlebt, wie ein sehr junges Kind sich an die Schreibmaschine gesetzt hat. Ich persönlich habe damals in der Schule noch Maschinenschreiben gelernt, weil ich es zu lernen hatte. Die Kinder hier kommen und machen das, weil sie es echt wollen. Sie bleiben dann auch länger dran, und ich denke, das ist in allen Bereichen so. Sie kommen, weil es sie interessiert und sind dann echt dran und echt dabei. Man spürt das einfach, ob Kinder aus ihrem eigenen Bedürfnis heraus kommen, um eine Tätigkeit zu machen, oder ob sie einen Auftrag haben oder glauben, einen Auftrag von außen zu haben. Ich denke, das ist der große Unterschied.
Ulrike: Da fällt mir eine Situation, die ich gestern erlebt habe, ein. Ein Bursche aus dem ersten Schuljahr hat sich vorgenommen, einen Magnetkörper zu zerlegen und ihn dann farblich richtig wieder zusammenzubauen. Das war ihm dann definitiv zu schwer, er hat es nicht geschafft und war mit dem „ich kann das noch nicht” in echt konfrontiert. Hätten wir eine andere Umgebung, dann hätten wir den Magnetkörper vielleicht heimlich, still und leise zusammengebaut oder ihm die Teile in der richtigen Reihenfolge in die Hand gedrückt. So habe ich ihn gefragt, ob er Unterstützung möchte, das hat er abgelehnt. Was mich beeindruckt hat, war, wie er sein Ziel modifiziert hat. Denn er hat ihn dann nicht nach Farben zusammengebaut, sondern nur so, dass die Form stimmte. Das heißt, er hat in echt eine Lösung für das gefunden, was er machen wollte. Wir müssen hier nicht künstlich etwas machen, damit ein vermeintliches Ziel erreicht wird, sondern das Ziel darf sich ändern, wenn es dann zu den echten Fähigkeiten des Kindes passt.
Ingrid: Wenn etwas nicht funktioniert, können sich die Kinder nur dann einen anderen Weg suchen, wenn man das Scheitern nicht als solches bewertet, sondern als Weg zur Problemlösung versteht. So besteht zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, dass sich das Kind erneut dafür interessiert, denn es kann – ohne ein schlechtes Gefühl zu haben – an die selbe Tätigkeit herangehen und es aufs Neue probieren, vielleicht funktioniert es dieses Mal. Wenn man das Scheitern allerdings bewertet oder den Kindern ein schlechtes Gefühl dabei gibt, dann haben sie beim nächsten Mal dieses schlechte Gefühl und vermeiden möglicherweise diese Tätigkeit.
Ulrike: Ich finde es auch sehr wichtig, dass wir die Kinder dieses Scheitern erleben lassen. Denn wenn wir überall ein Sicherheitsnetz spannen und ihnen suggerieren, sie hätten es selbst geschafft, auch wenn dem nicht so ist, dann ist das für die Entwicklung des Selbstwertgefühls und die eigene Einschätzung nicht sehr förderlich. Denn dafür ist das echte Erleben von dem, was ich schon kann und was ich noch nicht kann, sehr wichtig.
Maja: Scheitern ist gesellschaftlich eher negativ konnotiert. Wie wir gerade gehört haben, dürfen die Kinder hier in der Lernwerkstatt neugierig und auf unbefangene Art und Weise Neues ausprobieren, ohne eine negative Bewertung zu hören, wenn sie nicht den gewünschten Erfolg haben, sprich scheitern. Wie wirkt sich diese Form des bewertungsfreien Miteinanders eurer Meinung nach auf die Entwicklung der Kinder aus?
Ingrid: Ich denke, es ist ganz wichtig für die Entwicklung des Selbstvertrauens, eigene Wege gehen zu dürfen. Und ich erlebe sehr häufig, dass sich gerade durch eine offene und kreative Herangehensweise neue Wege auftun, an die man vorher gar nicht gedacht hat. Diese Wege können dann vielleicht auch zu einem anderen Ziel führen, mit dem das Kind dann zufrieden sein kann oder auch nicht, sodass es die selbst gestellte Aufgabe dann eben noch einmal aufs Neue versucht.
Ulrike: Ich nehme es auch so wahr, dass die Kinder hier dadurch die Möglichkeit haben, authentischer zu sein, weil sie der Umwelt nicht vorspielen müssen, etwas zu können, was sie noch nicht können. Sie müssen nicht schummeln, sie müssen nicht so tun als ob, sondern sie können zu dem stehen, wie sie sind und was sie in diesem Moment können. Denn es geht nicht darum, dass sie etwas vorgaukeln, was in Wahrheit nicht so ist, also um eine Show. Ich glaube, dass dadurch das Leben entspannter ist.
Lotte: Vor allem weil sie es ja für sich selber machen und die Idee aus ihnen selbst heraus entsteht und sie nicht das Gefühl haben, dass sie etwas beweisen müssen oder etwas Fertiges abgeben müssen. Dadurch sind die Lösungswege auch ganz individuell und in Folge kann sich auch das Ergebnis ganz individuell verändern. Dadurch, dass Kinder frei und selbstbestimmt ihre Ideen umsetzen können, wird echte Begeisterung und echtes Interesse geweckt.
Maja: Wie wirkt sich diese Art von Pädagogik auf eure Tätigkeit als Lernbegleiterin im Schulalltag aus?
Ulrike: Ich würde einmal ganz frech sagen, das ist der blanke Luxus, den wir hier haben. Wir können mit Kindern, wenn es zum Beispiel um Mathematik geht, genau daran arbeiten, wo ihre Verständnis-Strukturen gerade sind, mit dem Material, das jetzt in diesem Moment zu diesem Kind gerade passt. Somit müssen wir auch nicht vorgaukeln, das Kind wäre irgendwo, wenn es in Wirklichkeit noch ganz woanders steht. Wenn ich etwas nicht weiß, dann kann ich das auch sagen, was das Begleiten entspannter macht. Heute habe ich ein Geschichte-Angebot gemacht. Eine Schülerin hatte in einem Bereich unglaubliches Detailwissen. In diesem Fall kann ich sagen, ich weiß das jetzt nicht, und danke der Schülerin für dieses Wissen, das sie mit uns geteilt hat. Und das tut mir einfach wahnsinnig gut, denn auch ich muss nicht so tun, als wüsste ich etwas, das ich in echt einfach nicht weiß.
Maja: Heißt das, nicht nur die Kinder und Jugendlichen, sondern auch ihr LernbegleiterInnen seid hier authentischer?
Lotte: Ja, weil es nicht darum geht, alles zu wissen und immer gleich eine Antwort auf jede Frage zu haben. Wichtig ist einfach, den Kindern einen Weg zu zeigen, wie sie selbst Antworten finden können, wie man gemeinsam einen Weg erarbeitet und wo man Wissen findet. Unser Anliegen ist es, sie dahin zu begleiten, ohne eine fixe Antwort zu haben.
Ingrid: Für mich ist die Frage, wie viel helfe ich dem Kind jetzt, immer wieder herausfordernd. Wo ist es sinnvoll, wo ist es kontraproduktiv, wenn ich eingreife? Es fällt mir auch schwer, wenn ich vorher schon weiß, das Kind beginnt mit einem Projekt, für das es die Kenntnisse noch nicht hat, dem Kind dann beim Scheitern zuzusehen. Manchmal frage ich auch, ob es etwas anderes ausprobieren möchte als Einstieg? Es ist jeden Tag wieder eine Herausforderung für mich, nicht einzugreifen, mich auf die eigenen Hände zu setzen oder den Mund zu halten und nichts zu sagen. Das ist ein Lernfeld, das mich persönlich jeden Tag begleitet.
Lotte: Und dazu gehört auch, Langeweile bei Kindern auszuhalten, was auch nicht immer leicht ist. Wenn man ihnen diesen Raum lässt, entstehen oft neue Ideen. Sie dürfen auch mal einen Tag lang zuschauen und spüren, ob das vielleicht etwas für sie wäre, und am nächsten Tag wollen sie es vielleicht ausprobieren und wenn nicht, ist das auch okay.
Maja: Wie sieht das Lernen in der Sekundaria aus, wo es auch um Wissen geht, das man nicht immer in der Lernwerkstatt findet? Und wie geht ihr in der Lernwerkstatt damit um, dass wir heutzutage in der Regel bei Nichtwissen alles sofort googeln?
Ingrid: Mir ist gleich persönlich etwas eingefallen, nicht im Hinblick auf die Kinder oder Sekis, sondern einfach, wie es mir geht. Durch dieses Googeln, dieses Verlockende, das ich auch immer wieder mache, beobachte ich, ich google etwas, lese es mir durch, fünf Minuten später weiß ich es nicht mehr und muss es noch einmal googeln (lacht). Also ich stelle das schon in Frage, wie viel man dabei wirklich lernt, vor allem so kurzfristig. Ich denke, wenn man ein größeres Projekt macht, wie z.B. ein Referat, wo man zur Recherche etwas nachschaut, sich dann Notizen macht und etwas ausarbeitet, dann ist das etwas anderes. Aber ich beobachte mich selbst dabei, wenn ich zum Beispiel nur kurz den Wetterbericht nachschaue auf Google, wie schnell ich das wieder vergessen habe. Das passiert mir immer wieder.
Ulrike: Also das in echt ist eigentlich die Basis dafür, dass die Jugendlichen in der Sekundaria gut lernen können. Wenn man zum Beispiel etwas in Chemie macht, ist es so wertvoll, dass sie vorher schon die Experimente mit allen Sinnen erlebt haben, zu einem Zeitpunkt, wo sie die Theorie dahinter noch nicht interessiert, weil das Gehirn sowieso noch nicht so weit ist, und dann ist manchmal so eine kleine Pause, wo man die Experimente nicht mehr macht und die Theorie noch zu kompliziert ist. Aber wenn sie dann – oft erst mit 14 oder 15 Jahren – das Theoretische interessiert, dann können sie auf die Erfahrungen, die sie mit ihren Händen, Augen, Ohren, Nasen usw. gemacht haben, zurückgreifen und können mit theoretischen Vorstellungen und Formeln auf einmal etwas anfangen. Dieses echte Verständnis wäre in dem Umfang nicht möglich, hätten sie es vorher nicht selbst gemacht und erlebt.
Ich habe zehn Jahre lang an einer Oberstufe Physik und Chemie unterrichtet und genau dieses Verständnis, worum es eigentlich geht, hat sehr vielen meiner Schülerinnen und Schülern gefehlt, wenn sie es nicht auch praktisch ausprobieren konnten.
Und wenn es Richtung Google geht, versuchen wir natürlich vorher zu fragen, ob es eine andere Möglichkeit gibt, um das herauszufinden? Wir haben sehr viele feine Bücher, aber diese stoßen an ihre Grenzen. Natürlich wird dann auch im Internet recherchiert, mittlerweile auch immer mehr mit KI. Hier sind wir sehr dankbar für einen Workshop, den ein Vater angeboten hat, um Antworten von KIs besser auf ihre Glaubwürdigkeit einschätzen zu können und um zu lernen, wie man eine bestimmte Frage durch die Eingabe immer mehr präzisiert, sodass man dann eine sinnvolle Antwort auf die eigene Frage erhält. Also spielt auch KI eine immer größer werdende Rolle bei uns.
Vielen Dank für das Interview!