Daniel Domaika,freigeist, filterlos

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Wir sitzen in einer Auslage. Auf dem runden Couchtisch stehen Wasser, Kaffee und Gebäck, die tiefen Sessel sind gemütlich. An den Wänden des etwa 8 mal 8 Meter großen Raumes präsentiert Daniel Domaika einige seiner Bilder in einer wechselnden Dauerausstellung und in gewisser Weise sind wir heute gut sichtbarer Teil dieser Ausstellung. 

Gleichzeitig betrachten wir das Leben der Oberen Landstraße im Stadtkern von Krems, Menschen, die vorbeispazieren oder stehenbleiben.

Wer ist hier der Betrachter, wer hinter, wer vor der Auslage? Eine Frage von Standort und Perspektive.

Daniel Domaika im Gespräch mit Fritz Schandl

Das Leben ist roh, aber köstlich

„Weißt du, die Leute gehen hier vorbei, jeder mit seinen eigenen Gedanken, die er oder sie gerade hat“, sagt Daniel, „vielleicht an die Vergangenheit, vielleicht an die Zukunft, aber wir alle sind genau jetzt hier, in diesem Moment. Das Leben läuft. Schau her, da bleibt wer stehen und schaut.“

An einer eingezogenen Wand hängt das Bild eines rohen Stücks Fleisch, dabei steht: Das Leben ist roh, aber köstlich.

„Kunst schafft das, Kunst trifft dort, wo die Leute das brauchen. Das finde ich genial. Einem sagt es nichts, aber dann kommt auf einmal wer und sagt: ,Wow, das hat mich auch gedrückt!‘

Heute sind ein paar gekommen und haben mich gefragt: ,Warum malst du wieder ein Stück Fleisch?‘ Schau, was in unserer Welt passiert, ist nicht lustig. Die Informationen kommen von außen in meinen Kopf, ich bin ein emotionaler Mensch, diese Gedanken müssen aus mir wieder heraus und sie sind dann im Werk gespiegelt. 

So werde ich das Gefühl in mir wieder los, indem ich es nach außen gebe. Manche Menschen machen das vielleicht mit Bewegung, andere schreiben, ich male. 

Das können Gefühle sein, politische Gedanken oder Situationen, es ist in mir und ich möchte etwas Konstruktives damit machen. Ich liebe den Prozess, wie etwas entsteht, und wenn es fertig ist, ist ein Teil von mir in dem Werk drinnen, es hängt an der Wand und wer will, kann es haben.“

Wieder bleibt auf der Straße eine Frau stehen und betrachtet das Fleisch-Bild.

„Schau, jeder hat seine Meinung und jeder versteht. Jeder hat sein Gehirn, hat eine Farbe im Kopf, hat seine Geschichte. Die Museen und Kuratoren wollen uns einreden, die Leute verstehen nichts von Kunst und brauchen alles erklärt, aber ich sage, der versteht gleich viel wie ich. Du hast Gefühle, du kannst sagen, was es dir bedeutet.“

24 Stunden am Tag ich selbst sein

„Ich bin in einer Werkstatt aufgewachsen, mein Großvater war Tischler und Kunsttischler, meine Oma hat viel Handwerkliches gemacht, das habe ich in mich aufgesaugt. Es war immer Musik, ich konnte immer Materialien verwenden, malen, basteln, kleben. Mit vier Jahren habe ich die erste Skizze von meinem Opa gemacht, er hat irgendeine politische Sendung gehört und ich habe ihn gezeichnet. 

Irgendwann später hat sich die Frage gestellt, was mache ich mit meinem Leben? Ich habe nach der Matura eine lange Reise gemacht und als ich heimgekommen bin, habe ich mir gedacht, ich muss etwas für die Leute machen. Da war ich schon Tischler und Spengler, dann bin ich noch Krankenpfleger geworden. Die kreative Arbeit hab ich immer gemacht, wenn neben dem Geld Verdienen Zeit dafür war.

Aber das war nicht wirklich ich. Ich könnte auch in einer Bäckerei arbeiten oder in einer Tischlerei, aber das macht mir keinen Spaß. Wenn ich in einem Lokal Kaffee mache, mach ich es sicher auch gut, aber dafür bin ich nicht auf die Welt gekommen.

Vielleicht hat jemand 12 Jahre studiert und hat dann eine Arbeit, die sich nicht gut anfühlt, er macht es das ganze Leben und mag es nicht. Ein anderer wäre der beste Arzt alle Zeiten und fühlt das im Kopf, arbeitet aber in einer Metzgerei, weil er nie etwas anderes probiert hat.

Ich lebe vielleicht achtzig Jahre und möchte meine Zeit in das investieren, was ich will und gut mache.

Deshalb habe ich mich entschlossen, 24 Stunden am Tag ich zu sein. Ich bin kreativ, zeige echt im Leben etwas von mir selbst. Wenn das, meine Kraft, käuflich ist, kann ich damit mein Leben finanzieren.

Und das mache ich jetzt seit zwanzig Jahren, bekomme viele gute Meinungen und fühle mich wohl dabei.

Wenn jemand, der ein Werk von mir hat, nach zehn Jahren kommt und sagt: ,Wir sind so zufrieden!‘, dann ist das für mich unglaublich schön. Ich schaffe es, dass Leute zu Hause ein gutes Gefühl haben. Wenn ein kleines oder ein großes Werk dich innen trifft, ist das grandios.

Natürlich ist Selbständig sein nicht einfach. In der Kunst Selbständig zu sein ist ein dauernder, liebevoller Kampf zwischen Zeit, Geld und Kreativität.“

Kunst ist vielfältig

„Die Kunstindustrie will von bestimmten Künstlern eine bestimmte Atmosphäre erwarten, so dass eine Art Marke entsteht. Ich sage: Nein! Ich liebe den Prozess, jeden Schritt davon und das kann ganz unterschiedlich sein. Es kann ein Gedanke da sein, der zu einem Kunstwerk wird, oder ich experimentiere, mische die Farben, lasse meinen Körper drauflos malen und das Werk entwickelt sich selbst. 

Bei dem blauen Bild war das ein Impuls. Ich hatte selbstgemachtes Ultramarinblau, einen Besen und habe bei klassischer Musik drauflosgemalt. Nach vielleicht drei Stunden habe ich es angeschaut und gedacht: Ich sehe ein Ufer. Dann habe ich noch 40 Minuten weiter daran gearbeitet, bis ich zufrieden war, und dann nichts mehr. 

Beim Sumo-Ringer war es ganz anders. Das war in der Corona-Zeit. Ich habe gedacht: Was brauchen wir jetzt? Wir müssen auf uns aufpassen, bei uns bleiben, mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und trotzdem beweglich sein. Auf einmal war der Gedanke da: ein Sumo Ringer! Ich habe dann viel gelesen, eine große Dokumentation über Sumo-Ringer, das war sehr interessant. Der Ringer heißt Hakuho Sho, es ist fast original groß, er ist 1,90 m, wiegt 160 kg. Mit diesem Bild an der Wand fühle ich mich nie allein.

Oder während der Corona-Zeit, da haben so viele Leute immer draußen gewartet. Und dann ist mir beim Spazierengehen aufgefallen, wie viele Kartonagen draußen zum Abholen liegen. Ich habe mir gedacht: Die warten auch. Ich habe einen Edding genommen und ihnen Augen gemalt. So ist aus den Kartonagen eine Kunst-Intervention entstanden, die ich ,Warteraum’ genannt habe.“

Der eigene Weg

„Auf Vernissagen warten KuratorInnen auf die Besucher, um ihnen zu erklären, was die Kunstwerke bedeuten. Ich mag das für mich nicht und brauche auch für meine Werke im Moment keinen Kurator. Wenn ich ein Kunstwerk sehe, will ich selber die Energie aufsaugen, und wenn es mich neugierig macht, dann möchte ich vielleicht eine Erklärung vom Künstler. Ich finde, Kunst muss den Beobachter überraschen.

Die übliche Entwicklung eines Künstlers in Europa ist, dass du studierst, dann hast du ein Atelier, dann gehst du in Galerien und nachher in Museen. Da bin ich immer schon sehr skeptisch.

Deshalb habe ich für mich diesen Weg ausgelassen, mache auch keine Vernissagen mehr, sondern habe hier meine Dauerausstellung. Da bin ich präsent, bin jedes Wochenende da, als Künstler zum Angreifen. Ich brauche niemanden zwischen mir und meinen Werken, nur die Leute. Da können wir dann über die Arbeiten reden, das ist interessant. 

Wie Kinder Bilder betrachten, ist faszinierend – ganz anders als Erwachsene. Wenn da eine Tasche gemalt ist, fragen sie: ,Was ist da drinnen in der Tasche?‘ Und ich antworte dann: ,Was glaubst du denn, was drinnen sein kann?‘ “

Die Tür geht auf, eine Frau kommt geschäftig und fröhlich herein, es entsteht ein kurzes, lebhaftes Gespräch über ein naturalistisches Bild mit einer Straßenlaterne. Mit erbetenen Grüßen an den Mann verlässt sie gut gelaunt den Ausstellungsraum.

Mit Herzlichkeit im Leben

„Wenn ich in die Bäckerei gegenüber gehe, und da gehe ich zehn Jahren lang hin, und die Verkäuferin sagt immer noch: ,Grüß Gott, was wollen Sie haben?’, denke ich mir, die macht ihren Beruf nicht gerne, sie ist nicht glücklich. Sonst würde sie längst wissen, dass ich jede Woche komme, was ich gerne habe und wir wären herzlicher miteinander. Bevor ich nach Österreich gekommen bin, hatte ich Angst vor der deutschen Sprache, dass die so hart ist und die Menschen vielleicht auch. Dann habe ich zwei ältere Frauen beobachtet, wie sich die auf der Straße begegnet sind und die eine hat gegrüßt: ,Hallo, servas, griaß di!‘ 

Da habe ich gewusst: Das ist ein guter Ort, hier kann man schon leben.“