Ich verlasse und sie betritt den Sommer des Lebens

Mutter und Tochter im Übergang. Für meinen Wechsel habe ich Bilder und Wünsche, wie aber unsere Tochter begleiten? Das Gefühl von Scham, das ich hatte, als ich meine Regel bekam, das möchte ich ihr so gerne ersparen. Weiß aber nicht, wie tun.


Von Gudrun Totschnig

Lange Zeit habe ich Orientierungshilfen wie das europäische Lebensrad oder Modelle, das Leben nach den Jahreszeiten oder dem Zyklus zu gestalten, nicht bewusst für meine Alltagsplanung herangezogen. Ich bin zwar immer wieder darauf gestoßen und bestimmte Übergänge wie die Raunächte haben mich schon lange fasziniert. Auch in unserer Ernährung ist mir das Leben nach den Jahreszeiten sehr vertraut. Aber sonst in meiner Lebensgestaltung bisher nicht. Bis zu dem Moment in diesem Sommer, als ich im Dunkeln einer Schwitzhütte von der Schwitzhüttenleiterin durch alle Jahreszeiten meines Lebens geführt wurde. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst: Ich bin im Spätsommer meines Lebens! Und unsere Tochter an der Schwelle in ihren Lebenssommer. Wir befinden uns jeweils am anderen Ende dieses Lebensviertels, beziehungsweise genau in diesem Übergang, im Tortenstück zwischen den Vierteln, sie vom Frühling zum Sommer, ich vom Sommer zum Herbst. Sie noch nicht ganz drinnen, ich noch nicht ganz draußen. 

Alleine das Bewusstwerden, in diesem Übergang zu sein, hat bei mir Gestaltungsideen geweckt. Und ich weiß auch, wo ich mir Unterstützung holen könnte, wenn ich sie brauche. Ganz unsicher fühle ich mich jedoch in der Begleitung unserer Tochter: Da ist nur die große Sehnsucht da, sie möge es anders erleben als ich. Heike Pourians Geschichte von der „Roten Bete“ gibt mir Zuversicht. Ich lese dort, dass wir oft instinktiv etwas anders machen, als wir es erlebt haben. Sie brachte ihrer Tochter eine Wärmflasche und massierte ihr die Füße während ihrer Tage und hatte es selbst ganz anders erlebt.

Auch der Austausch mit meinen Mitbewohner*innen im Wohnprojekt unterstützt mich. „Feiern wir ein rotes Fest“, schlägt eine mir sehr nahe Mitbewohnerin mit Tochter in ähnlichem Alter vor. Sofort erinnere ich mich an Josianne von Quittendufts Beschreibung eines solchen Festes in unserem TAU zum Thema Träumen, die mich berührt hat. Unsere Mädchen, die sich von uns Frauen die Haare mit roten Bändern schmücken lassen, begleitet von den Trommeln der älteren und jüngeren Männer? Ich glaube nicht, dass das in unserem Kontext das richtige Format wäre, auch wenn es mir gefallen würde. Wir überlegen ein ganzes Treffen lang in unserer Arbeitsgruppe zu Gemeinschafts-Themen, wie wir hier in unserem Wohnprojekt eine Tradition begründen könnten: Eine junge und in der Wilderness-Szene verwurzelte Mitbewohnerin in unserem Projekt hat die Idee, mit den Mädchen auf einen kleinen Hügel gleich hinter unserem Haus, der Venushügel (!) genannt wird, zu gehen, dort mit ihnen zu campen, ihnen Aufgaben zu stellen und am Morgen zurückzukommen, wo sie von uns allen feierlich willkommen geheißen werden. Würden die Mädchen da mitmachen? Oder sollen wir an ihre Reiselust andocken und sie auf eine kleine Reise schicken, nicht mehr in den Wald, wie früher und durch viele Märchen bezeugt, aber immerhin. In all meinem und unserem Forschen und Suchen lerne ich Tomer und seine 14-jährige Tochter Gali kennen, die in einem Kibbuz in Israel leben, wo dieser Übergang seit Generationen rituell begangen wird. Ich bitte Gali mir ein wenig davon zu erzählen und staune:

„In unserem Kibbuz wird das zwölfte Lebensjahr der Mädchen und das dreizehnte der Jungen besonders begangen. Jeder Kibbuz hat da seine eigene Tradition, mal religiöser, mal weniger.

In diesem Jahr („year of the mitzvot“) bekommen die Jugendlichen in dem Alter mehrere Aufgaben gestellt und es finden zahlreiche Events statt. Zum Beispiel haben wir in der Schule in einem „Roots project“ unsere eigene Familiengeschichte erforscht, Familienangehörige interviewt und einen Familienbaum gezeichnet. Weitere Events waren die Besteigung des heiligen Berges Masada zu Sonnenaufgang. Oder „chalutz boded“: Wir wurden um Mitternacht von unseren Häusern abgeholt und mit verbundenen Augen zu einem Ort im Wald gebracht und dort alleine gelassen. Unsere Aufgabe war, die anderen zu finden und gemeinsam den Weg nach Hause anzutreten, wo wir mit einem Festessen erwartet wurden. Ein Höhepunkt des Jahres ist eine Feuerzeremonie, für die wir über einige Wochen proben und an der der ganze Kibbuz teilnimmt. Am Ende dieser Zeremonie findet eine Segnung statt und wir werden in den Kreis der Jugendlichen des Kibbuz aufgenommen.“ Ich frage Gali, wie sie dieses Jahr erlebt hat: „Ich habe mich nach dem Jahr erwachsener gefühlt und die Verbindung zu meinen Freunden ist stärker geworden, da wir so viele Herausforderungen gemeinsam gelöst haben.“

Ich frage auch Galis Vater Tomer, wie er vor 30 Jahren sein „year of the mitzvot“ erlebt hat: „Wir hatten damals mehr physische Aufgaben zu bewältigen, haben auch einen Tag pro Woche und die Hälfte der Schulferien im Kibbuz mitgearbeitet. Man konnte selbst aussuchen wo. Ich habe bei den Kühen geholfen und es hat mir sehr gefallen. Es gab mir ein Gefühl, wichtig für die Gemeinschaft zu sein. In meiner Zeit gab es auch viele Gruppengespräche mit unseren Begleitern darüber, was wir gerne lernen würden und über die Werte des Kibbuz. Heute sind wir offener und akzeptieren, dass jedes Kind seine eigene Art und Weise hat, in unserer Gemeinschaft zu leben.“

Mir wird klar, wir sind in unserem Wohnprojekt erst ganz am Anfang unserer eigenen Tradition, und auch mein Weg muss sich erst formen. Auf meine leise Anfrage vor ein paar Monaten, ob wir gemeinsam einen Mütter-Töchter-Workshop besuchen wollen, kam mit aller Klarheit: „Vergiss es, Mama!“ Aber: Vor zwei Wochen haben wir gemeinsam eine zweitägige Mama-Tochter-Auszeit begangen. An einem unserer Abende sagte Kaia: „Wahnsinn, nächsten Sommer werde ich fünfzehn!“ Ich spürte, wie sehr sie sich dieses Übergangs bewusst ist. Am nächsten Tag sind wir in eine Kleinstadt geradelt und an einem Naturkosmetikladen vorbeigekommen. Eigentlich wollten wir nur eine Zahnbürste kaufen, doch rausgegangen sind wir mit einer Toilettentasche gefüllt mit Utensilien für die junge Frau. 

Vielleicht genügt es einfach nur bewusst zu haben, in welchen Übergängen wir uns gerade befinden, und kleine Rituale entstehen ganz von selbst?