Die Sonne kam wieder raus nach einem sehr heftigen Gewitter im Frühling 2006. Was das Wetter so anschaulich verdeutlichte, zeigte sich an diesem Spätnachmittag auch in der Gründungssitzung unserer Schule: Zeit, was Neues anzugehen, nach dem überstandenen Unwetter.
Von Chris Moser
Die Gründung der Lernwerkstatt Zauberwinkl war eine Notwendigkeitsentscheidung, welcher ein abruptes Ende eines ähnlich ausgerichteten Vorgängerprojekts vorausging.
Was ist im Herbst? Welche Schule werden unsere Kinder besuchen? Für die meisten war klar, dass ein direktives Regelschulsystem keine Option ist. Also musste es schnell gehen. Und es ging! Acht Gründerfamilien stellten innerhalb kürzester Zeit einen Trägerverein und einen Schulvorstand auf die Beine, damit wir noch rechtzeitig zu Schulbeginn im Herbst starten konnten!
Einiges an Knowhow im Trägerverein und Abläufen im Schulalltag konnten wir vom Vorgängerprojekt übernehmen, das meiste eigneten wir uns nach und nach in der direkten Auseinandersetzung mit den Notwendigkeiten an. Die Lernwerkstatt Zauberwinkl war geboren!
Ein Name, der zwar auf Potterheads schließen lässt, aber vielmehr auf die Adresse unserer Schule – den Zauberwinklweg 1 – zurückgeht als auf Harry Potter.
Unsere Schule ist eine Elterninitiative für selbstbestimmtes, nicht-direktives Lernen, mit dem Anliegen, den Lebens- und Lernprozess als Ganzes zu betrachten. Wir orientieren uns dabei an den Erfahrungsberichten von Rebeca und Mauricio Wild, den pädagogischen Erkenntnissen von Maria Montessori sowie anderen freien und demokratischen Schulen.
Die Lernwerkstatt Zauberwinkl bietet Schulplätze für Kinder und Jugendliche von der 1. bis zur 9. Schulstufe an. Damals im Herbst 2006 starteten wir mit 12 Kindern, momentan besuchen 22 Kinder und Jugendliche unsere Lernwerkstatt, und wir haben inzwischen mehr Anfragen als räumliche Kapazitäten. Das temporäre Öffentlichkeitsrecht bekam unsere Schule gleich von Anfang an, das Öffentlichkeitsrecht auf Dauer dann 2012, nachdem wir jede Schulstufe einmal durchlaufen hatten.
Momentan begleitet ein acht-köpfiges multiprofessionelles Team unsere Schüler*innen durch die Schulvormittage, beziehungsweise auch durch so manchen Schulnachmittag.
Unser Team besteht aus Montessoripädagoginnen, einer ehemaligen Sozialarbeiterin, Begleiter*innen mit abgeschlossenem Pädagogik- und Ethnologiestudium, einem Bildhauer, Natur- und Wildnistrainer, einer Gärtnerin, Natur- und Umweltpädagogin, Übersetzerin, DaF-/DaZ-Trainerin, Begleiter*innen mit Sprach-, Mathematik- und Lehramtsstudien, die zum Teil auch zusätzlich an staatlichen Schulen arbeiten und bei uns vorwiegend die Kurse in den sogenannten Kulturtechniken anbieten.
Ganz besonders freut es uns auch, seit zwei Jahren sogar einen ehemaligen Schüler der Lernwerkstatt Zauberwinkl im Team der Lernbegleiter*innen zu haben: Neben unseren Absolvent*innen im handwerklichen, akademischen oder kreativen Bereich, als Tätowierer*innen oder Ärzt*innen, auf Baustellen oder im Großraumbüro gibt es nämlich auch welche, die sich schon immer für Geschichte interessiert haben und das letztendlich, neben einer zusätzlichen Trainerausbildung, zu ihrer Profession machten. An jedem Schultag begleiten jeweils vier Erwachsene die Kinder und Jugendlichen in unserer Lernwerkstatt. Soviel zum Grundlegenden.
Und nachdem also der Rahmen stand und wir unsere Schulvormittage zur Zufriedenheit aller meisterten, war recht bald klar, dass wir als Lernwerkstatt Zauberwinkl allerdings noch weit mehr anstreben als nur das Nötigste! Im Laufe der Zeit erweiterten wir so unsere inhaltliche Ausrichtung neben kreativem Arbeiten vor allem auch auf regelmäßige Zeit im Freien, im Wald und in unseren nahen Schluchten.
Wir versuchen aus dem zu schöpfen, was wir haben: eine wunderschöne, spannende Umgebung mit Bächen, Schluchten und Höhlen, sowie abenteuerlustigen, spontanen und kreativen Begleiter*innen.
In- und außerhalb der bereits erwähnten Kursangebote arbeiten wir mit Montessori-Material, und neben Tätigkeiten in unserer Werkstatt oder im Musikraum ist auch unser wöchentlicher Waldtag einer unserer fixen Programmpunkte. Unabhängig von Jahreszeit und Witterung verbringen wir hier einen Vormittag im Freien. Am Lagerfeuer mit Chapatis und Kartoffeln aus der Glut, bei nassem Wetter unter einem temporär gebauten Shelter. Egal, ob zum nahen Bach, in eine der Schluchten in der Umgebung, zu unserem großen Fluss, dem Inn, oder zu einem unserer Waldplätze: Hier finden alle was zu tun. Frieden findet man nur in den Wäldern, wusste ja schon Michelangelo. Wohin genau es beim Waldtag gehen soll, wird in der wöchentlich stattfindenden Gesprächsrunde beschlossen. Aber natürlich nicht nur das.
Gemäß unseren Statuten sehen wir die wesentliche Voraussetzung dafür, die Kinder und Jugendlichen in den angestrebten Bildungszielen zu unterstützen, im „unmittelbaren Erfahren und Erleben von demokratischen Strukturen“! Das Erfahren demokratischer Strukturen: Speziell in einer Zeit starker antidemokratischer und rechtsoffener Tendenzen ist das für uns ein elementarer Aspekt für die Zukunft!
In unseren „Gesprächsrunden“ werden einerseits organisatorische Abläufe wie Wochenplan, Ausflüge oder Projekte besprochen und geplant, andererseits ist die Gesprächsrunde auch das Forum, in dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene direkt demokratisch unser Miteinander in der Schule regeln. Hier werden also Regeln vereinbart, Wünsche deponiert und Konflikte gelöst. Unser Ziel im Interesse aller ist es dabei, Entscheidungen im Konsens zu treffen. Dadurch soll es möglich sein, Probleme anzusprechen, eigene Standpunkte zu vertreten, Konflikte auszutragen und konstruktiv nach Lösungen zu suchen.
Wir wollen was gemeinsam machen!
… und alle können mit! Barrieren gemeinsam überwinden!
Im Schulalltag der Lernwerkstatt Zauberwinkl wie auch bei allen unseren Outdoor-Abenteuern ist es uns natürlich besonders wichtig, dass auch alle dabei sein können, die möchten. Und während sich manche der Kinder und Jugendlichen zum Beispiel in Schluchten und Höhlen weniger wohl fühlen, ergeben sich für Schüler*innen im Rollstuhl wiederum leider immer wieder Probleme je nach Gelände. Auch hier versuchen wir natürlich auf alle Bedürfnisse einzugehen.
Wie weiter oben bemerkt, machen sich die Kinder und Jugendlichen das Ziel des jeweiligen Waldtags wöchentlich in unserer Gesprächsrunde aus. Wenn wir also die Woche zuvor bei einer Höhle waren, wo manche nicht dabei sein wollten, weil sie sich unwohl fühlten, wählen wir für die Woche drauf ein Waldtagziel auf einer Lichtung, am Bach oder am Fluss.
Einen Blick und ein Gefühl dafür, wie wenig barrierefrei bereits Gehsteigkanten, Zebrastreifen über Straßenbahngleise oder manchmal auch schon Flickstellen im Asphalt sind, bekamen wir erst, als wir uns als Begleiter*innen intensiver mit dem Thema Rollstuhl befassten. Dementsprechend stoßen wir leider auch bei unseren gemeinsamen Waldtagen immer wieder an die Grenzen dessen, was ein handelsüblicher Rollstuhl noch schafft. Wir lösten das dann vorerst so, dass wir mit dem Rolli so weit ins Gelände vorstießen, wie es möglich war, und diesen dann meist unter einer Plane, zusammen mit einem Vermerk für etwaige Finder*innen, samt Kontakttelefonnummer und einer kurzen Erklärung der Situation im Wald versteckten. Den restlichen Weg in die Schlucht oder über den Hang legten wir dann Huckepack zurück, während andere Schüler*innen die Rucksäcke und Planen übernahmen. Schließlich helfen wir alle zusammen!
Auf diese Weise und als solidarische Gruppe ist es uns immer wieder möglich, unsere Schultage in Schluchten und auf Plateaus zu verbringen, die manche Kinder auf ähnliche Weise bisher nie erleben konnten. Trotzdem war es uns wichtig, auch in diesem Bereich noch genauer hinzuschauen und uns dem Thema von mehreren Seiten zu nähern.
Besondere Freude bereitet uns deshalb auch die Kooperation mit einer HTL für Maschinenbau, wo Schüler*innen gemeinsam mit ihrem Werkstättenlehrer an der Planung und am Bau eines Rollstuhls, der selbst unseren hohen Outdooransprüchen gerecht wird, zusammenarbeiten. Für das vergangene Schuljahr ging sich die Fertigstellung leider nicht mehr ganz aus, umso mehr freuen wir uns auf mehr Mobilität und damit mehr Möglichkeiten im kommenden Schuljahr!
… über den Tellerrand schauen, spannende Outdoorprojekte!
Immer wieder arbeiten wir mit Gruppen interessierter Kinder und Jugendlicher, manchmal auch Eltern, an größeren Projekten. So entschlossen wir uns im Frühjahr des vergangenen Schuljahres zu einem Blockhausprojekt. Schon Wochen vorher begannen unsere Schüler*innen damit, Ideen zu sammeln und Pläne und Skizzen zu zeichnen.
Zuerst wurden in Absprache mit den Waldbesitzer*innen gemeinsam mit Eltern, Betreuer*innen und Schüler*innen Fichten gefällt und entastet. Danach wurden die Baumstämme in tagelanger Handarbeit von den Kindern und Jugendlichen entrindet, auf tirolerisch „geschebst“. Schließlich wurde aus den Fichtenstämmen ein Blockhaus gezimmert! Klingt nach einem Klacks, war aber drei Wochen Arbeit.
Gemäß unserem bislang langwierigsten Projekt: „Wir suchen einen neuen Schulstandort“ – wie oben bemerkt haben wir derzeit weit mehr Anfragen als Platz – bauten wir unser Blockhaus dann auch auf einen alten Landwirtschaftsanhänger, damit wir unser Projekt im Falle eines schon lang angestrebten Standortwechsels dann natürlich auch mitnehmen können. Derzeit parkt unser mobiles Blockhaus noch im nahen Wald, wo es unseren Schüler*innen als Festung, Rückzugsort oder Spielhaus dient.
Entstand unser Blockhaus vielleicht aus einem tiefen Bedürfnis nach Raum, Schutz und Rückzugsort, war unser letztes größeres Gemeinschaftsprojekt offenbar eher von Aufbruch und Abenteuerlust geprägt! Wir beschlossen nämlich, uns selber ein Kanu zu bauen! Und zwar nach dem historischen „skin on frame“-Prinzip, welches auch auf den Kajakbau der Inuit zurückgeht. Zusammen mit den Kindern und Jugendlichen wurden zuerst lange Haselnussäste in der näheren Umgebung gesucht und abgeschnitten.
Dann wurde zuerst ein grobes Gerüst aus den Ästen zusammengebunden, dieses immer feiner unterteilt und schlussendlich aus ethischen Überlegungen lieber mit einer Bauplane als mit Rohhaut bespannt. Alles in allem wieder ein Projekt, das mehrere Wochen in Anspruch nahm, vor allem, weil wir als Begleiter*innen natürlich auch darauf Rücksicht nehmen, wenn die Kinder und Jugendlichen mal nicht am Projekt weiterarbeiten, sondern auch etwas ganz anderes machen möchten. Zeit für Spontanität wollen wir immer bereithalten.
Es war dann auch wieder wundervoll zu beobachten und zu spüren, mit wie viel Selbstbewusstsein, aber auch Vorsicht, sich die Kinder und Jugendlichen auf der Jungfernfahrt mit unserem selbstgebauten Kanu übers Wasser bewegten. Sich gegenseitig helfend, rücksichtsvoll, solidarisch.
Wir möchten unser Bunt ohne Braun! Solidarität statt Egoismus!
Wir haben unsere Schule 2006 gegründet. Seitdem ist viel gewachsen, hat sich viel entwickelt und auch manches verändert. Wir möchten uns mit- und weiterentwickeln, dranbleiben und nicht stehenbleiben. Zum Glück wurden wir als Gesellschaft in vielen Bereichen aufmerksamer, zum Beispiel betreffend Diversität, diskriminierungssensible Sprache oder im Um- und Weiterdenken bezüglich immer stärker spürbar werdender klimatischer Veränderungen.
Andererseits fanden leider zuletzt auch egoistische und biologistische wie sogar rechtsoffene, sozialdarwinistische und völkische Strömungen und Ansichten den Weg ins weitere Umfeld nicht-direktiver, freier Pädagogik.
Von der Pandemie bis zur Klimakatastrophe: Es wird relativiert und umgedeutet, dass die Fetzen fliegen! Wir beobachteten diese Entwicklungen von Anfang an mit großer Sorge und haben es uns auch zur Aufgabe gemacht, hier aktiv gegenzusteuern. (Völkische) Härte, Rücksichtslosigkeit oder Ableismus stehen in absolutem Widerspruch zu allem, was wir bei der Gründung unserer Lernwerkstatt vor Augen hatten. Gemäß unseren Statuten sehen wir es als „vorrangige Aufgabe der Schule“, Kindern und Jugendlichen „Möglichkeit und Hilfe zu geben“, sich zu „solidarischen, politisch verantwortlichen und tätigen Menschen zu entwickeln“! Solidarität statt Egoismus und Rücksichtslosigkeit!
So wählten wir bereits im Schuljahr 2019/2020 „Klimawandel und Klimagerechtigkeit“ als Jahresthema. Im Rahmen dieses Jahresprojekts erarbeiteten wir das Thema unter anderem theaterpädagogisch, besuchten Fridays for Future-Demos mit den Kindern und Jugendlichen und arbeiteten eng mit der Initiative get up and goals sowie dem Verein Südwind zusammen.
Höhepunkt unseres Klimaprojekts war eine Ausstellung mit Fotos und Kunstfilmen unserer Schüler*innen zum Thema Klimawandel und Klimagerechtigkeit in der renommierten Kunstgalerie am Polylog in Wörgl. Es war uns eine große Freude, die Möglichkeit zu bekommen, uns zusammen mit Kindern und Jugendlichen diesem immens wichtigen Thema für unser aller Zukunft anzunähern.
Jean Piaget sagte: „Das Ziel von Bildung ist nicht, Wissen zu vermehren, sondern für das Kind Möglichkeiten zu schaffen, zu erfinden und zu entdecken, Menschen hervorzubringen, die fähig sind, neue Dinge zu tun.“
Als Lernwerkstatt Zauberwinkl möchten wir den Boden bereiten, der genau das möglich macht!