Paar-Beziehungen, freigeist Sommer 2025, Lernwerkstatt im Wasserschloss

Paar-Beziehungen

Natascha Wagner-Paar nimmt die Leser wieder einmal in ihre Welt mit. Dieses Mal verschiebt sich ihre Wahrnehmung in Richtung Beziehungs-Weisen.

von Natascha Wagner-Paar

Seit der Titel für diesen Sommerfreigeist feststand, hat sich ein seltsames Phänomen in meiner Wahrnehmung gezeigt, von dem ich Euch hier berichten möchte.

Lieber Leser, Du kennst das sicherlich auch. Ist man schwanger, sieht man lauter Schwangere, fährt man selber mit einem Fahrschulen L17 Taferl im Auto rum, bemerkt man, dass ganz schön viele L17-Fahrer unterwegs sind.

Genau so erging es mir nun also. Beziehungen überall.

Natürlich, denkt ihr, wenn man es genau nimmt, sind wir ständig und immer und überall in Beziehung. Ja, aber was sich mir eröffnete, war dann schon sehr erstaunlich für mich und ich muss gestehen, ich bin immer noch verdattert und weit entfernt von einer Conclusio.

Aber nun mal zum Anfang meiner Geschichte.

Offensichtlich war meine erste Idee von Beziehung, ganz herkömmlich und landläufig, die von einem Paar. Diese Idee zeigte sich mir dann auch prompt live und in Farbe bei meiner Arbeit und so saß ich nun mit einem Paar in meinem Beratungszimmer.

Eine Dame hatte den Termin bei mir ausgemacht, da sie dringend Hilfe benötige mit ihrem Mann. Alles sei fürchterlich schrecklich und ihre Beziehung sei am Ende. So startete ich also in die Stunde mit einer Frau, die sehr enttäuscht war von ihrem Angetrauten, der sie belogen und betrogen hatte. 

Lügen gehe für sie nämlich gar nicht, meinte die Frau vehement und erklärte eine Stunde lang, wie sie sich ihre Partnerschaft vorstelle. Sie erklärte ganz genau, wie sich ihr Mann zu ändern und zu verhalten habe, was er tun und lassen solle, mit der Schlussfolgerung, dass sie nur so gut leben und zufrieden sein könne. 

Es war nicht einfach für ihren Mann zu Wort zu kommen, ohne meine Moderation unmöglich und dann auch immer nur kurz. So baute sie also ihr phantastisches Luftschloss, so wie sich eine Beziehung gehört, so wie es für sie schön wäre und zwar nur so.

Während sie so redete und ich aufmerksam zuhörte, stellte sich in meinem Inneren ein Bild ein.

Ich sah plötzlich ein Seil, das sich wie eine sich schlängelnde Schlange auf ihren Mann zubewegte, sich sachte um ihn wickelte und dann mit einer Vehemenz zuzog, dass mir beim Zuhören fast die Luft wegblieb.

Sie sprach von Vertrauen, Liebe und Gemeinsamkeit.

An sich recht lautere und schöne Dinge, dachte ich bei mir, als sich das Seil ruckartig zuzog bei „nur so kann ich glücklich sein!“ – mhhh, überlegte ich, seltsam.

Ihr Mann hätte auch gerne seine Vorstellungen Preis gegeben, aber sie tat diese mit einer einfachen Handbewegung ab, so als verscheuche man eine Fliege, die einem vor der Nase herumschwirrt und führte ihr Bild weiter aus. 

Fasziniert schaute ich dem Spiel weiter zu, quasi mit den Ohren und vergaß fast meine Rolle als Vermittlerin. Ich konnte gar nicht mehr recht einschreiten und meinen Part übernehmen, da ich so von dem Seil-Bild eingenommen war.

Ich brachte die Stunde halbwegs zu Ende und auf meine Frage, ob und was sich nun verändert habe im Vergleich zum Beginn der Stunde, war die Frau recht beschwingt. Wenig Groll war da und sie meinte, es hätte ihr richtig gut getan, sich das Herz auszuschütten. So ein gutes Gespräch hätte sie schon lange nicht mehr geführt. Dass sie ihrem Mann endlich einmal mitteilen konnte, wie sie sich nun gemeinsam ausrichten sollten, damit es ihnen beiden gut geht und sie glücklich werden.

Beim Verabschieden sah ich eine fidele Frau, ein dickes Seil hinter sich herschleifend von dannen ziehen. Daran hing ihr Mann, wie in einen Kokon gehüllt. Einzig sein Haarbüschel lugte oben heraus.

Ich stand in der Tür, sah den beiden nach und schüttelte kurz aber heftig den Kopf – das Seil war verschwunden.

So, dachte ich, jetzt brauch ich dringend einen Kaffee! Ich stapfte die Stufen in den Sozialraum hinauf. Das Seil immer noch schemenhaft im Gedanken, betrat ich die Küche.

Da standen ein Kollege und eine Kollegin an der Kaffeemaschine. Noch bevor ich hörte, was sie redeten, sah ich ein feines Bändchen zwischen den beiden, seidig und rosa, ätherisch zitternd. Es ging vom Kollegen aus, der lächelnd dastand. Das Bändchen wollte sich zart um das Handgelenk der Kollegin schmiegen, fand aber keinen Halt, versuchte immer wieder anzuknüpfen. 

Ich brauchte jetzt wirklich einen Kaffee! 

Also stieg ich zwischen den beiden hindurch zum Automaten und drückte ganz unverschämt mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Knopf – siehe da, das Bändchen hatte sich in Luft aufgelöst, sowie sich auch die Szenerie auflöste. Die Kollegen waren ihrer Wege gegangen.

Ich dachte noch „Ui, da bin ich in etwas reingeplatzt“, als es mir im Ohr raunte: „Danke, dass du gekommen bist, du hast mich gerettet, er hat schon wieder gefragt, ob ich mit ihm mal Essen gehen will“, sprach’s und verschwand.

Mit meinem Kaffee in der Hand ging es wieder treppab zur nächsten Einheit, zum nächsten Gespräch.

Eine Klientin, die schon oft bei mir war, erzählte, dass nun ihre Tochter endlich heiraten werde – im Juni. Na, da ist nicht mehr viel Zeit, meinte sie leicht erregt, so viel zu organisieren und es sei ja nicht so einfach die perfekte Lokation zu finden und überhaupt allein das Kleid, bis das ausgesucht und angepasst sei, das allein benötige Monate. Die Auswahl des Menüs, die Deko und dann auch noch einen Termin mit dem Taufpfarrer in der Kirche zu bekommen. Da bekomme sie Kopfschwirren, bei allem, was da in nächster Zeit auf sie zukomme. Bekanntlich solle dies doch der schönste Tag im Leben einer jungen Frau sein. Außerdem die Gästeliste! Alles so kurzfristig! Das müsse doch gut durchdacht sein! Wen man einladet und die Sitzordnung bei der Tafel. Die Urli-Oma ist ja nicht mehr so fit, die kann nur noch mit Rollator, schon alleine das zu organisieren… Die Frau redete sich in Rage …

Auf einmal sprangen wie bei einem Tischfeuerwerk hunderte von Gummibändern in alle Richtungen und spannten sich in unsichtbare Gefilde. Meine Klientin im Zentrum, es vibrierte und die Gummibänder surrten leise. Ich musste mich zusammenreißen, dass ich nicht die Augen aufriss, ob des Anblicks, der sich mir bot. 

Da hielt die Frau inne, schaute mich an und sagte: „Und wissen Sie, was das Ärgste ist? Meine Tochter will eine kleine intime Hochzeit, nur mit der engsten Familie und Freunden. Ja können Sie sich das vorstellen?“ 

Die Gummibänder spannten sich maximal, das Surren wandelte sich in ‚Zinnnnggg‘ und ich konnte nur antworten: „Ja … nein … weiß nicht … aber offensichtlich haben sie eine genaue Vorstellung.“

Mein Tagewerk in der Arbeit war beendet und ich ging noch schnell etwas einkaufen, als ein Bekannter vor dem Gemüseregal meinen Weg kreuzte, ein schon in die Tage gekommener Herr, mit dem ich immer wieder ein Pläuschchen halte. Dieser erzählte mir enttäuscht, dass nun seine Nichte, die selber schon in Pension ist (also genug Zeit hat), ihm nicht mehr zur Hand gehen wolle, obwohl er doch allein sei, keine Verwandtschaft habe und sie doch weiß, dass er auf sie angewiesen sei.

Er jammerte, dass er ihr doch dafür sein Haus vererbe, es sei schon alles beim Notar geregelt, obwohl sie gar nicht seine ‚echte‘ Nichte sei. Nur weil er sie ein paar Mal des Nächtens angerufen habe und doch nicht mehr verlange, als dass sie endlich bei ihm einziehe, damit er nicht dauernd anrufen müsse, wenn er was brauche.

Ein dicker Schlauch wurde für mich sichtbar, wie bei einem Tankfahrzeug. Durch den Schlauch pumpte sich schwallweise Flüssigkeit. Das sah aus wie in einem Comic und der Herr saugte daran. Ich war so irritiert, dass ich auf seine Frage: „Können’s Ihnen sich das vorstellen? Wie kann man nur so sein?“, nur antworten konnte: „Äh nur schwer, das tut mir Leid für Sie, schönen Tag und auf Wiedersehen.“

An der Kasse zeigte sich mir ein weiteres, ich muss schon sagen klassisches Bild. Eine Mutter räumte den Inhalt ihres Einkaufswagerls auf das Förderband, daneben ein kleiner Bub, der leise quengelte.

Da sah ich doch glatt wieder ein Seil, diesmal ein Springseil, das dezent um der Mutter Fuß geschlungen war. Dem Buben war zu warm und langweilig, ein beständiges Zupfen ging vom Buben über das Seil zur Mutter. Sie versuchte es zu ignorieren, man merkte jedoch, dass sie leicht hektisch wurde, sicher um das Geschäft möglichst rasch verlassen zu können.

Wieder schüttelte ich den Kopf, um das Bild abzuschütteln, und nahm mir fest vor, diese selektive Wahrnehmung – der Begriff fiel mir in dem Moment ein – jetzt ruhen zu lassen. 

Ich fuhr nach Haus. Vollbepackt mit den Einkäufen betrat ich mein Zuhause, alsdann es bereits durch die Flure schallte: „Maaaaaaamaaaaa, endlich bist du da! Hast du das Popcorn auch nicht vergessen?“, aus dem Zimmer daneben hörte ich ein Schluchzen, oje meine Tochter telefonierte, das klang nicht gut, kam es mir in den Sinn, als mich hinter mir eine Nachbarin ansprach: „Sag hast Zeit auf einen Kaffee?“ Da klingelte das Telefon, ich kramte es heraus. Ui! Meine Mutter, ich hatte vergessen sie anzurufen, gestern schon. Da kam auch noch mein Mann von der Arbeit daher, der sieht aber genervt aus… und die Katze schlich um meine Beine und maunzte herzzerreißend, sie wollte was zu fressen.

Da spürte ich etwas Kratziges an meinen Handgelenken und auch noch an meinen Fußknöcheln. Ich schaute und sah Fäden. Brauner Spagat, wie zum Packerl Verschnüren war da festgeknotet und es zog.

„So“, dachte ich, „jetzt hat es mich auch erwischt!“

Potzblitz! Hatte ich da was zu überdenken? Wie war das noch mal? Beziehung? Be-ziehung? Steckt da etwa das Wörtchen ‚ziehen‘ drin? Ja, zieht da was?

Da ließ ich die Einkäufe einfach stehen, drehte am Stöckel um und ging ein Stück weit zum Auslüften, ließ mich auf ein Bankerl fallen und atme ein paar Mal tief durch. Schaute an mir herunter, die Fäden waren fürs erste Mal weg. Das war schon flashig, wie man auf Neudeutsch so schön sagt.

Ich atmete tief weiter – mein Notfallprogramm – und kam ein Stück mehr zu mir.

Aha, dachte ich, spannend im wahrsten Sinne des Wortes. Da spannten sich also Bänder, Fäden, Seile. Mit jedem Gedanken, mit jeder Überlegung, mit jeder Sorge an andere spanne ich Fäden auf! Ich konnte es nun wieder deutlich sehen. Was tat ich da? Ein leiser Zweifel machte sich in mir breit – da zieht es auf einmal auch in mir drinnen.

Meine Gedanken galoppierten. Plötzlich blieb ich an einem kleben, an einem banalen. Völlig aus dem Nichts. „Ich muss heute noch die Betten frisch beziehen, das ist überfällig!“ 

Ja wo kam denn das auf einmal her? Ich sehe mich die Tuchenten überziehen. 

Beziehen – das Wort drängte sich mir auf. Das liegt doch klangtechnisch ganz nah bei Beziehung, schoss es mir ein. Ich sah mich einen Bettbezug über die Tuchent ziehen. 

War das etwa mein bildliches Synonym für eine Vorstellung, eine Erwartung?

Ich beziehe. Ich habe eine Be-ziehung. Ich ziehe. Es zieht an mir. 

Als bekennende Freizeit-Philologin musste ich daraufhin natürlich sofort das Deutsche Grimmsche Wörterbuch nach der Wortwurzel befragen.

Zu Zeiten Grimms wurde der Begriff Beziehung nur für geschäftliche Gebaren verwendet. So musste ich das Wort zerlegen. be – ziehen.

Zu lesen bekam ich, dass das ‚be‘ „ein partikel“ (in unserer Zeit Vorsilbe genannt) ist.

Vor Wörter gestellt, „drückt es aber auch die vollendete einwirkung auf einen gegenstand […] person oder sache aus.“

ziehen: „grundbedeutung: einen gegenstand ziehen, d. h. eine kraft, die ihn zu sich heranzubewegen strebt, gleichmäszig auf ihn einwirken lassen, so dasz er sich ihrem ausgangspunct nähert oder, wenn sie fortrückt, ihr folgt oder, wenn er an einem punct festgehalten wird, sich, falls er elastisch ist, in der richtung der kraft ausdehnt.“

Puh! Denke ich. BE-ZIEHUNG. Ich sollte den Begriff für mich wohl neu denken!