Von der Pause zur Muße

Wie sehen die Pausen in der Lernwerkstatt aus? Was, wenn Langeweile entsteht? Was bewirkt ein Auszeit-Jahr für die Begleiter/innen?

Maria Altmann-Haidegger trifft David Meixner, Ulrike Tinhofer-Sonntag, Florian Ungerböck, Kerstin Brandstetter, Ingrid Winterheller und Theo Feldner an einem wunderschönen Augusttag nach der Sommerpause im Garten der Lernwerkstatt zum Interview. Team-Talk Folge 9


Von Maria Altmann-Haidegger

Ihr habt Strukturtage und wart gerade in der Mittagspause. Gibt es Pausen in der Lernwerkstatt auch am Schulvormittag?

Theo Feldner: Bei Schulführungen habe ich früher oft gesagt, dass bei uns eigentlich immer Pause ist – dass man es sich so vorstellen kann wie eine Pause in der Regelschule, wo man nicht etwas tun muss, was von jemandem angeschafft wird, dass die Tätigkeit nicht von außen vorgegeben wird. 

Ulrike Tinhofer-Sonntag: Wir haben ja in der Lernwerkstatt eine sehr skurrile Situation, wir haben keine geregelten Schulstunden und damit auch keine geregelten Pausenzeiten, was es den Kindern ermöglichen soll, immer ihren Bedürfnissen nachzugehen, auch dem Bedürfnis nach Pause. Das heißt, dann eine Pause zu machen, wenn sie müde sind, wenn sie Hunger haben, wenn sie Durst haben, wenn sie aufs Klo müssen.

Diese Situation führt aber dazu, dass wir Begleiterinnen und Begleiter unsere Pausenzeiten normalerweise gar nicht einhalten. Es gehört sehr, sehr viel Selbstdisziplin dazu, sich einmal ein paar Minuten aus dem Geschehen herauszunehmen und sich auch eine Pause zu gönnen. Manchmal gelingt´s und manchmal nicht. Wir haben das noch nicht institutionalisiert, es wäre aber fein, wenn uns das gelingt.

Kerstin Brandstetter: Kindern in unserer Schule wird es auch ermöglicht, keine Pause machen zu MÜSSEN, sodass man auch länger an etwas dranbleiben kann. Wenn man gerade in etwas voll versunken ist, dass man dann nicht gestört wird, sondern dem nachgehen kann.

Florian Ungerböck: Durch die freie Wahl der Tätigkeiten an unserer Schule müssen die Kinder ja ständig entscheiden, was sie als Nächstes tun und wann sie wie lange Pause machen. Sich die Zeit selbst zu strukturieren ist eine große Herausforderung für die Kinder und Jugendlichen und ich bewundere es, wie sie das bewältigen.

Ingrid Winterheller: Meiner Erfahrung nach ist es manchmal gut, wenn man zu einer Pause „gezwungen“ wird, denn mir geht es so, dass ich ganz gerne übersehe, dass ich schon eine Pause brauchen würde. Ich gehe dann über meine Grenzen und merke erst am Abend, dass es schon zu viel war.

Kerstin: Mir geht es manchmal auch wie dir, Ingrid. Die Kinder spüren oft besser als wir, wann sie eine Pause brauchen. Das ist etwas sehr Wertvolles, und auch wenn man weiß, welche Art von Pause man gerade braucht. Geht es darum, die Tätigkeit zu wechseln oder den Raum zu wechseln oder darum, Grundbedürfnisse zu versorgen. Es ist sehr wichtig zu lernen, das zu spüren. Gelingt mir auch nicht immer. 

Ich finde das sehr lustig, für mich spürt sich Schule im Moment wie Pause an, weil es Familienpause und Kinderpause ist. – Pausen sind sehr unterschiedlich zu definieren. Für mich ist es hauptsächlich der Wechsel von etwas.

David Meixner: Am Beginn der Ferien geht es mir und meinem Gehirn oft so, dass wir zunächst noch im schnellen Tempo weiterlaufen – und ich erst nach und nach zurück in den eigenen Rhythmus finde.

Beim Meditieren kann ich im Alltag ganz gut merken, was im Inneren alles abläuft. Schon dafür ist eine Pause – speziell für Erwachsene – besonders gut, um mal wieder kurz mitzubekommen, womit man gerade beschäftigt ist und was davon auch wichtig sein könnte. Man ist so multifunktionell – während man das eine tut, ist der Kopf gleichzeitig schon bei etwas anderem. Ich finde es schön, wenn man sich selbst kurz gewahr wird, wenn gerade NICHTS ist. Oder nichts außer dem speziellen Geruch nach Sommerregen….

So Sommertage, wo es nicht viel zu tun gibt und ich den Tag selbst gestalten kann – das mag ich.

Dann entsteht dieser natürliche Wechsel zwischen Aktivität und Nichtstun, Ruhe, Entspannung. Und darin die Chance zu reflektieren: Wie geht es mir gerade? Bin ich zufrieden mit dem, was ich gemacht habe? 

Es ist auch für Kinder wichtig, dass sie diesen Rhythmus finden können. Gibt es keine Pausen, wird es anstrengend und stressig – es ist ja auch für andere nicht angenehm, wenn jemand so rastlos ist – und scheinbar nur sein Ding durchziehen will.

Auch gibt es Situationen, in denen man Pausen ganz stark wahrnimmt. Zum Beispiel direkt vor dem Start eines Elternabends, da fokussieren sich alle. Oder bei einem klassischen Konzert zwischen den Sätzen. Wie unerträglich wäre Musik ohne jede Pause? 

Kerstin: Meine Definition von Pause – es funktioniert ja nur, wenn es zwischendrin ist. Die Pause braucht einen Anfang und ein Ende.

Theo: Ich finde, Pause ist auch was anderes als Muße. Pause zielt eher auf Erholung ab. Die Muße braucht mehr Zeit – dass man in einen Zustand der Empfänglichkeit und der Kreativität kommt. Muße ist für mich ein Zustand des Wahrnehmens und des Seins – eigentlich ein Normalzustand. Dass man immer was machen muss, sodass man dann eine Pause braucht, das ist doch eigentlich nicht normal, oder?

David: Ohne Pause keine Muße.

Theo: Ja, das schon. Man kann nicht vom Stress in die Muße kommen. Von der Muße in den Stress aber sehr wohl.

David: Das kennen wir alle recht gut … (alle lachen)

In der Lernwerkstatt ist es gang und gäbe, dass sich die Begleiter/innen eine Auszeit nehmen und auch mal ein Pausenjahr einlegen. Entsteht da Muße?

Theo:  Bloß weil die Schule weg ist? – Es ist ja noch das andere Leben da. Man nimmt sich ja immer mit in die Auszeit. Ich hatte das letzte Mal vor zwei Jahren ein Auszeit-Jahr – es war eher ein Pausenjahr, weil ich so erholungsbedürftig war … Es ist besser, wenn man das Pausenjahr nicht so erholungsbedürftig beginnt, weil man dann kreativer ist und leichter in die Muße kommt.

Kerstin: Die Pausenjahre finde ich auch für uns Kolleginnen sehr bereichernd, weil da wieder viele neue Ideen, Frische und Leichtigkeit mitgebracht werden. Sowas bringt schon sehr viel. 

Ich finde es sehr bereichernd und wichtig, dass wir diese Pausenjahre im Team beibehalten, weil es einen längeren Abstand schafft, da entstehen neue Impulse, die nicht kommen, wenn man zu lange im Radl drinnen ist …

David: In meinem Pausenjahr wollte ich im zweiten Halbjahr eigentlich auf Reisen gehen, aber dann kam … Corona …

Während Corona war ja auch in der Lernwerkstatt Pause, oder?

Ulrike: Ungefähr 24 Stunden habe ich gedacht, jetzt darf Pause sein. Dann war es ein Hamsterrad, wie ich es nie zuvor erlebt habe und auch nicht mehr erleben möchte. Aber es hätte das Potenzial gehabt, eine sehr feine Zeit zu sein.

Florian: Am Anfang war es damals so von hundert auf null. Da habe ich erst mal ganz abgeschaltet. Dadurch, dass so wenig möglich war und das so unerwartet war, habe ich anfangs die Zeit genießen können wie fast nie davor. 

Bei mir ist es auch sonst so, dass ich unerwartete Pausen total zu schätzen weiß. Ich habe ein kleines Kind zuhause und es ist dann immer was los – da ist in der Mittagspause eine halbe Stunde Einrad fahren in der Au der volle Genuss.

David: Was Flo gesagt hat, kenne ich auch. Wenn zum Beispiel ungeplant ein Termin ausfällt, schafft das ein Zeitfenster, das ich meist bewusster erlebe. Sogar wenn es nur kurz ist, scheint es wie ein Geschenk.

Langeweile ist eine Pause fürs Gehirn, sagt man, aber in unserer Gesellschaft wird das doch eher negativ gesehen.

Ulrike: Da ist dann die Frage, wie weit dürfen Kinder Langeweile erleben und sind sie Langeweile gewöhnt. Dann die Pausen nutzen zu können, aushalten zu können und selbst in eine neue Tätigkeit zu kommen, ist nur dann möglich, wenn Eltern und Begleiter/innen da nicht intervenieren und ihrerseits aushalten, dass da ein unzufriedenes Kind oder ein unzufriedener Jugendlicher ist, dem jetzt einmal fad ist. Die Langeweile hat einen unglaublichen Wert, ist aber in unserer Gesellschaft eigentlich nicht mehr akzeptiert.

Florian: Sie ist auch nicht mehr vorgesehen.

Theo: Nichts zu tun ist in unserer Konsum- und Leistungsgesellschaft negativ bewertet. „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ heißt es doch.

David: Ich habe kürzlich eine Erziehungswissenschaftlerin gehört, die einfordert, der Muße wieder ihren Stellenwert – in der heutigen Zeit als neue Kulturtechnik – zu geben. Zahlreiche Erwachsene müssen sich das wieder mühsam in Seminaren erwerben, aber wäre es nicht wichtig, diese Fähigkeit schon als Kind zu entwickeln, beziehungsweise sich diese zu bewahren? 

Dennoch – Muße ist weder verorden- noch aktivierbar. Die Zeit davor kann sich als Langeweile zeigen und das sollte auch der begleitende Erwachsene wissen und aushalten. 

Unsere Gesellschaft versucht, allerorts, der Langeweile zu entwischen. Wenn man zum Beispiel mit den Öffis unterwegs ist, flüchten sich so viele Menschen in die Bildschirme ihrer Smartphones. Da frage ich mich: Wie soll Selbstwahrnehmung oder Reflexion entstehen, wenn man sich durchgehend mit etwas zerstreut?

Anlässlich einer sechswöchigen Smartphone-Pause – mein Smartphone war mir während der Sekundaria-Reise gestohlen worden – habe ich gemerkt, wie oft auch ich davor zwischendurch auf das Handy geschaut habe. Diese Gewohnheit hat sich durch diese Pause verändert, aber das brauchte diese Zeit. Ich hatte dazwischen nur ein Tastenhandy und das ist schlichtweg nicht so interessant.

Kerstin: Hast du mittlerweile die Gewohnheiten wieder aufgegriffen?

David: Ich habe jetzt sicher weniger Bildschirmzeit als vorher. Das kann sich natürlich wieder ändern – ich bin da lieber kein Romantiker … Aber es war ein lohnendes Selbstexperiment.

Ingrid: Ich bin manchmal auch überrascht, wie beschäftigt die Kinder am Nachmittag nach der Schule sind. Gleich mehrere Tage die Woche gibt es Programm – wahrscheinlich auch selbst gewählt: Musikschule, Sport, noch dies und das. Es ist für Eltern oft gar nicht so leicht, die Kinder da einzubremsen, denn man will ja seinem Kind möglichst viele Erfahrungen ermöglichen.

Kerstin: Im Extremfall kann es dann passieren, dass die Schule zur Pause wird, wo sie sich von den ganzen Eindrücken erholen und Anstrengungen aus dem Weg gehen. Das ist dann schade, weil die Schule so viel an Möglichkeiten bietet.

Was bewirkt die durch die Sommerferien entstehende Pause bei den Kindern und Jugendlichen?

Ingrid: Wenn man die Kinder und Jugendlichen nach den Sommerferien wieder sieht, haben sie oft unglaubliche Entwicklungssprünge gemacht, oft auch optisch – da ist in den zwei Monaten aus manchem Kind ein Jugendlicher oder eine Jugendliche geworden.

Kerstin: Das passiert manchmal auch, wenn die Kinder länger krank sind. Durch die erzwungene Pause – oft auch nur von zwei Wochen – sind sie dann viel reifer und haben unglaubliche Schübe gemacht.

Und nach den Sommerferien sind die Kinder dann völlig neu orientiert und verändert. Sie haben dann oft ganz andere Interessen und gehen anderen Tätigkeiten nach.

Theo: Oft wäre es gut, wenn man einen Schalter zum Abschalten hätte… Es ist manchmal unglaublich anstrengend, zur Ruhe zu kommen. Oder zu reflektieren: Wer bestimmt eigentlich, was ich tue? Der Algorithmus im Silicon Valley? …

Kerstin: Das Thema Pause passt auch gut zu unserer heurigen Istrien-Klausur. Auch hier soll es darum gehen, das Miteinander und die Pausen zu genießen, darauf zu achten, dass niemand sich übernimmt und alle auf ihre Ressourcen schauen und auch wieder gut gestärkt heimfahren können – vielleicht müde, aber nicht fertig und ausgelaugt. 

In der heurigen Klausur wird es auch den Programmpunkt „Pause“ geben – mal schauen, was da entsteht …