Volksschule Emmersdorf

Mit der Winter-Ausgabe 2017 des freigeist startet die Serie „Ökologschulen vor den Vorhang“. Der Fundus des Ökolog NÖ Schulnetzwerkes beinhaltet wertvolle Ressourcen im Kontext Bildung in vielerlei Hinsicht. In vielen Schulen wird unermüdlich und beherzt für das individuelle wie kollektive Ökologiebewusstsein gearbeitet. Oftmals ohne die verdiente Anerkennung. Mit dieser Rubrik möchte die Redaktion des freigeists PädagogInnen, Eltern und Kinder mit ihrem innovativen Tun in den Blickpunkt stellen. Das Interview mit der Direktorin der Volksschule Emmersdorf, Eva Fahrngruber, führte Ingrid Ratheiser.

Bei meinem Besuch in der Volksschule Emmersdorf an der Donau empfängt mich ein schlichtes Schulgebäude. Die Eingangstür hinter mir schließend, begrüßen mich als erstes Kinder. Lebendig, offen und herzlich. Sie begleiten mich ins Büro der Schulleiterin Mag. Eva Fahrngruber.

Frau Fahrngruber, als ich auf der Ökologseite im Internet nach Schulen für einen Bericht im Freigeist recherchierte, stieß ich auf die VS Emmersdorf. Ich habe mich kundig gemacht und war beeindruckt von der Vielfalt der Themen und des praktizierten Unterrichtgeschehens. Bevor wir auf einzelne Aktivitäten näher eingehen: Welche Voraussetzungen braucht es, um diesen innovativen, nachhaltigen Bildungsweg möglich zu machen?

Ich habe im Oktober 2016 die Schulleitung von Frau Direktorin Heide Kerschbaumer übernommen, sie hat sehr viel Vorarbeit geleistet. Diese Art von Unterricht, wie wir ihn heute praktizieren, wäre nicht möglich, wenn nicht die Jahre zuvor schon so viel aufgebaut geworden wäre. Ein herzliches Danke an Heide Kerschbaumer möchte ich hier platzieren!

Im Kontext des Leitbildes von Ökolog – wo liegt für Sie das griffigste Motiv, sich hier als Schule im Bildungsauftrag einzubringen?

Also, das ist eindeutig die Natur. Der Umgang mit der Natur. Da kommt man bei den Kindern so gut weiter. Es braucht nicht viel Zusätzliches, nicht viel an Vorbereitung, man lässt die Kinder einfach machen. Die Natur liefert die Ideen selber, und der soziale Aspekt ist automatisch dabei, das geht gar nicht anders. Ein Projekt zum Beispiel handelte über Amphibien. Es ging darum, welche Amphibien sich wieder angesiedelt haben, speziell in der Wachau. Herr Mag. Hannes Seehofer vom Arbeitskreis Wachau und der Biologe Axel Schmidt begleiteten die „Naturdetektive“ so faszinierend. An der Felbringbachmündung suchten wir gemeinsam nach Amphibien, die dort, an der revitalisierten und mäandrierenden Mündung wieder vermehrt vorkommen. Die Erdkröte, der Grasfrosch, der Spring- und auch der Wasserfrosch sind hier anzutreffen. Es wurde großteils in der Natur geforscht. Hautnah, mit z.B. Kröten in der Hand, die beobachtet, mit allen Sinnen erfahren werden konnten. Die Kinder waren so motiviert und begeistert, was zur Folge hatte, dass diese Welle über die Schule hinaus, in die Familien getragen wurde. Die SchülerInnen haben mit ihren Familien, in ihrer Freizeit, aus sich selbst heraus weiter daran gearbeitet und geforscht. Das Phänomen des Interesses über den Schulalltag hinaus bestätigt die pädagogische Herangehensweise der aktiven Wissensvermittlung. Tolle Plakate und Präsentationen waren, neben der Freude am Forschen und dem „sich zum Thema kundig machen“, sichtbares Ergebnis.

Auf der Schulhomepage der Volksschule Emmersdorf habe ich unter anderem den Begriff „Atelierunterricht“ entdeckt. Was genau beinhaltet dieser Schwerpunkt und welche Grundidee liegt hinter diesem Angebot?

Der Atelierunterricht wird als Wahlpflichtfach angeboten. Er findet jahrgangsübergreifend von der zweiten bis vierten Klasse statt. Hier gibt es fünf Angebote für die Kinder. Das sind die Naturdetektive, die Musiktankstelle, die Kreativwerkstatt, die Theaterwerkstatt und Rundum Xund.

Die Kinder können sich anmelden und entscheiden sich selbst für ein Wunsch-thema. Aus diesem Prozess entstehen dann Kleingruppen. Dieses Angebot findet am Freitag im regulären Schulbetrieb statt. Es dauert dann jeweils ein Semester und danach kann gewechselt werden.

Die Grundidee ist, dass Kinder sich für das entscheiden können, was sie wirklich interessiert. Wenn sie ihrem Interesse folgen, merkt man das an ihrer Begeisterung. Wenn sie kommen und sagen „Ich war am Wochenende mit meiner Mama noch einmal in diesem Waldstück …”, dann weiß ich, das ist angekommen.

Wie ist dieses Angebot, das in der regulären Unterrichtzeit stattfindet, in den Lehrplan integrierbar?

Wir haben die Stundenanzahl aus den Kreativfächern hier zusammengeführt. Diese Idee hat ursprünglich unter der Schulleitung von Frau Direktor Heide Kerschbaumer in der Form gestartet, dass es an drei hintereinander folgenden Freitagen umgesetzt wurde. Die Begeisterung der Kinder, ihr Engagement und die Freude daran haben unser Team dann veranlasst, es in die jetzige Form, also auf die Dauer eines Semesters, auszudehnen. Wir Lehrer dokumentieren für uns selber die fünf Lernateliers mit. So ist es möglich, die Interessen und Begabungen der Kinder zu beobachten und zu berücksichtigen. In diesem aktiven, freien Tun können verborgene Talente erspürt werden. In der Kreativwerkstatt sind zum Beispiel >>

die  bunten Paletten-Möbel für den Garten entstanden. Die Naturdetektive haben im Garten eine Igelecke erschaffen usw. Schön zu beobachten ist, dass nach der Wahl des Wunschthemas sehr viel von den Kindern selber kommt. Es entsteht dann ein interaktiver Prozess, wo viele Ideen geboren werden. Auch „Experten“ von außen kommen dazu. Mütter beziehungsweise Eltern wie Großeltern, die mit dem Thema Erfahrung haben, werden auf Grund der Initiative der Kinder Teil des Atelierunterrichts.

Sie sprechen gerade die Elternmitarbeit an, ist Elternmitarbeit generell ein integrierter Part im schulischen Kontext?

Ja, das ist für uns nichts Besonderes. Mütter, Väter oder Großeltern kommen auch von sich aus zu uns und bieten zu den Themen, die die SchülerInnen nach Hause transportieren, ihre Mitarbeit an. Diese Ressource aus dem Schulumfeld wertschätzen wir sehr.

Das Schlagwort dieser Freigeist-Ausgabe ist Ressourcen. Steht aus Ihrer Sicht die vorgegebene Struktur, der standardisierte Lehrplan, in einem Widerspruch zur konstruktiven natürlichen Entwicklung des Individuums?

Es gibt einen Rahmen, der ist vorgegeben. Das ist der Lehrplan, das sind Beurteilungsschemata, zeitliche und personelle Ressourcen. In diesem Rahmen versuchen wir aber möglichst auszuschöpfen, was den Kindern und uns zu Gute kommt. Das heißt wirklich zu schauen, dass personell alle Ressourcen bei den Kindern ankommen und sich nicht irgendwo in administrativen Sachen verlaufen. Das heißt, dass wir die Methodik – und die steht uns wirklich frei – gut ausschöpfen. Dass die Zusammenarbeit mit dem Schulerhalter gut gepflegt wird. Wesentlich ist auch die Zusammenarbeit mit den Eltern, die uns vielfältig unterstützen.

Ein Schlagwort im Kontext der Qualitätssicherung unserer Arbeit ist Stärkenorientierung. Die möglichen Methoden versuchen wir auszuschöpfen. Tauchen individuell temporäre Schwächen auf, so dient uns der Methodenpool. Für uns sind Montessorimaterialien ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts. Vom ersten Schultag an werden die Kinder in den Materialiengebrauch eingeführt. Pflichtarbeit und Freiarbeit ergänzen sich wechselseitig. Treten maßgebliche Schwächen auf, begleiten und nähren wir die Grundlagen dazu. Hier versuchen wir die Ressourcen, die der Schule zugesprochen werden, möglichst gut einzusetzen, damit es tatsächlich bei den Kindern ankommt. Weiters haben wir für die soziale Kompetenzentwicklung „KIKO“ die Kinderkonferenz installiert. Hier werden Konflikte bewusst begleitet. Auch das Schülerparlament wird von den Kindern sehr begrüßt. Anliegen der Kinder werden hier von zwei gewählten Vertretern der Klassen mit der Schulleitung und dem Lehrkörper besprochen und diskutiert.

Ich habe jetzt sehr vieles über Ihre Schule erfahren und bin begeistert, gibt es etwas, was Sie noch hervorheben möchten?

Ja, die „ICH“– Mappe. Eine Art Portfolio-Mappe, welche die Kinder vom ersten Schultag an begleitet. Eine Schatzkiste über vier Jahre, in der sie für sich besondere Sachen sammeln. Fotos, Zeichnungen, usw. Wir laden dann die Eltern ein, damit ihnen die Kinder diese Sammlung präsentieren können. Im letzten Jahr haben sie sich im ganzen Schulhaus verteilt, manche haben die Tante oder auch die Oma mitgebracht. Dann sitzt so eine intime Gruppe zusammen und das Kind erzählt im Schauen und geht seine Entwicklung in diesem Kreis der Familie noch einmal durch.  Das war für mich eine sehr berührende Beobachtung. Auch für die Eltern sind da manche Sachen total überraschend. Das ist dann wirklich ein Schatz, den die Kinder am Ende der vierten Klasse mit nach Hause nehmen. Schulbücher werden meistens irgendwann entsorgt. Diese persönliche Auswahl von Besonderem aus diesem Lebensabschnitt, denke ich, wird aufgehoben, da sie ganz allein aus den Kindern entstanden ist. Dass diese Form der Entwicklungsdokumentation als sehr wertvoll wahrgenommen wird, wissen wir aus den Rückmeldungen der Familien.

Was ich noch betonen möchte, ist unser Rollenverständnis der „Lehrerin“. Unsere erste Priorität ist es, eine gute Beziehungsebene zu den Kindern aufzubauen. Alles, was hier an der Schule an Entwicklung der Kinder stattfindet, braucht ein stabiles Umfeld und eine gute Beziehung zu den Erwachsenen, mit denen sie es zu tun haben.

Habe ich gerade einen Gong gehört?

Ja, wir haben keine Schulglocke, dieser Gong ist für die Kinder das Signal, dass der Garten ruft.

Die Pause, welche ich zum Austausch mit LehrerInnen im Garten noch nutze, endet wieder mit einem Gong. Wir Erwachsenen im Gespräch vertieft, empfangen die freudige Motivation zum Weiterlernen aus Kindermund an uns gerichtet, „Hallo! Es geht weiter!“

Als Berichterstatterin dieses Artikels möchte ich zum Abschluss das Leitbild der VS Emmersdorf unter dem Titel „Aktives Lernen“ skizzieren: Das Kind mit seinen Interessen und individuellen Möglichkeiten steht im Mittelpunkt, Vertrauen in die Eigenaktivität des Kindes, handelnd, forschend und reflektierend lernen, freie Arbeitsphasen in einer vorbereiteten Umgebung, individuelles Lern- und Arbeitstempo, Eigeninitiative weckt und stärkt das Selbstvertrauen, Faszination für Wissen erhalten.

Ich bedanke mich für den freundlichen Empfang sowie die umfassende Schulvorstellung und gratuliere zu dieser vorbildlichen Umsetzung des Leitbildes. Natur und Umwelt als Ressource haben hier nicht nur eine hohe Priorität, sondern sind auch ein aktiv integrierter Bestandteil des Lernens. Weitere Inspirationen zum gelebten Schulalltag der VS Emmersdorf finden Sie auf der Schulhomepage unter:

www.vsemmersdorf.ac.at